Der Terminus ‚Motivation‘ beschreibt die Gesamtheit der Beweggründe, die Einfluss auf eine Entscheidung, haben oder zu einer Handlungsweise anregen. Nun kann ein Mensch durchaus Beweggründe haben, die ihn zu einer Entscheidung oder Handlungsweise veranlassen und das Ziel dennoch nicht erreichen. Für Schüler*innen ist ein Beweggrund, sich mit dem angebotenen Schulstoff zu beschäftigen, oft die angestrebte Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe oder – unmittelbarer – die mindestens ausreichende Note in der nächsten Klassenarbeit. In diesem Falle spricht man von einer extrinsischen Motivation. Der Beweggrund, sich beispielsweise mit Mathematik zu beschäftigen liegt dann nicht im Interesse an der Mathematik mit ihren spezifischen Herausforderungen, sondern außerhalb der Inhalte von Schulfächern.
Die vorhandenem Interesse an der Mathematik und ihren spezifischen Herausforderungen spricht man von intrinsischer Motivation. Die intrinsische Motivation macht ausdauernd und resistent gegen Frustration. Sie ist die stärkste und ausdauerndste Antriebskraft des Menschen.
Wenn nun ein Mensch sich von ganzem Herzen zur Mathematik und ihren spezifischen Herausforderungen hingezogen fühlt, kann er dennoch in seiner Absicht scheitern, ein bestimmtes mathematisches Problem zu lösen. Ursache dafür kann einerseits der Stand der Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten dieses Menschen sein. Andererseits kann aber auch die Willenskraft unzureichend sein, die zum Lösen des Problems erforderlich ist. Diese Willenskraft wird ‚Volition‘ genannt und beschreibt die Fähigkeit, Wunschvorstellungen (Absichten, Motive oder Ziele) in gezielte Handlungen umzusetzen, die zu Resultaten (Erfolgen) führen.
Schulunterricht strebt im Idealfalle intrinsische Motivation an. Ob dieses Ziel im Einzelfalle überhaupt erreicht werden kann, hängt vor allem von der Volition der Schüler*innen ab. Unklar ist, ob die Volition ein Ergebnis von Erziehung sein kann oder ob sie letztlich ein Bestandteil der Wesensart ist. Schule hilft sich aus diesem Dilemma mit Bewertungen und Abschlüssen – also extrinsischen Motivationen. Man geht offenbar davon aus, dass Schüler*inne gut bewertet werden möchten und gute Noten und damit letztlich einen guten Abschluss erreichen möchten.
Im Mathematikunterricht führt extrinsische Motivation nur selten zu Interesse an der Mathematik und ihren Herausforderungen. Andere Schulfächer wie Sprachen, Geografie oder Geschichte fordern von Schüler*innen, dass sie Vokabeln, geografische Gegebenheiten oder Geschichtszahlen auswendig lernen. Das verführt viele Schüler*innen dazu, auch ihr mathematisches Wissen auswendig zu lernen. Eine Motivation zum Wissenserwerb, die aus dem Interesse an spezifischen Wesenszügen der Mathematik und ihren Herausforderungen resultiert, liegt dann nicht vor. Der Wissenserwerb im Fach Mathematik wird so zur Qual. Um die Motivation wenigsten teilweise aufrecht zu erhalten, greift schulischer Mathematikunterricht zur Anwendungsorientierung. Dahinter steht die Überzeugung, dass Anwendbarkeit die Motivation beflügelt. Das kann ein Irrtum sein. Selbst anwendbare Mathematik wird zur Qual, wenn sie überwiegend auswendig gelernt werden muss.
Die Alternative wäre ein Mathematikunterricht, der von Anfang an das Erlebnis mathematischen Wissensgewinns vermittelt. Die Aufforderung zum Auswendiglernen sollte so weit wie möglich unterbleiben. Natürlich müssen die Zahlwörter bis 20 auswendig gelernt werden. Das Dezimalsystem indessen muss verinnerlicht werden. Dafür gibt es Einerwürfel, Zehnerstangen und Hunderterplatten. Und das Einmaleins sollte zum Erlebnis mathematischen Wissensgewinns werden. Voraussetzungen für dieses Erlebnis sind das Verständnis der Multiplikation als Kurzform der Summe gleicher Summanden sowie die dem menschlichen Denken sehr naheliegenden Operationen ‚Verdoppeln‘ und ‚Halbieren‘.
Schüler*innen, welche das Einmaleins als Rückführung auf elementare Wissensbestandteile und Operationen erlebt haben, bleiben motiviert für das Lernen von Mathematik, solange sie nicht in Kopfrechenwettbewerben (wo sie Mitschüler*innen unterlegen sind, welche die Ergebnisse reflexartig hervorbringen) frustriert werden. Die Bereitschaft, sich mathematische Sachverhalte anzueignen und mathematische Denkprozesse auszuführen, bedarf des Erlebnisses mathematischen Wissensgewinns. Und diese Erlebnis stellt sich nicht durch Auswendiglernen ein, sondern durch Muße. Lehrer*innen, welche das Erlebnis mathematischen Wissensgewinns vermitteln wollen, müssen Schüler*innen Raum und Gelegenheit geben, den zu vermittelnden Sachverhalt zu verinnerlichen und dann neue Sachverhalte auf bereits verinnerlichte zurückzuführen. Nur auf diese Weise lässt sich Motivation zur Auseinandersetzung mit Mathematik erzeugen und erhalten.