https://www.youtube.com/watch?v=3oZKpQRh7y0
1. Einführung
Gleichungen ... der Alptraum eines jeden Schülers. Jeder wird früher oder später mit ihnen in Berührungen kommen. Umso wichtiger ist es zu wissen, wie man sie lesen kann.
Das Problem ist, dass man mit Gleichungen in der Regel nicht connecten kann, da sie nicht in unserem Alltag vorkommen. Wir begegnen ihnen trotzdem tagtäglich, allerdings nicht in der abstrakten Notation. Egal, ob du Musik hörst, mit dem Auto fährst oder YouTube-Videos auf deinem Smartphone schaust: Hinter all diesen Dingen stecken mathematische Gleichungen, die wir nicht sehen aber deren Konzepte wir verstehen können.
Und genau darin liegt der Schlüssel zum Verständnis von Gleichungen! Es handelt sich bei ihnen um eine Sprache, mit der man Gesetzmäßigkeiten aus der Natur und Strukturen abstrakt beschreiben kann.
2. Die mathematische und chinesische Sprache
Aber aller Anfang ist schwer. Stelle dir vor, du möchtest Chinesisch, Japanisch oder Koreanisch lernen. Als Deutscher Muttersprachler wirst du selbst ein Buch für Kinder, egal wie einfach es geschrieben ist, nicht sofort verstehen können. Wenn du die Sprache nicht nur sprechen, sondern auch lesen können willst, musst du eine Vielzahl an Symbolen und Wörtern lernen und dein Verstand entwickelt mit der Zeit ein generalisiertes Verständnis. Das ist eine Eigenschaft, die wir den Maschinen (noch) voraushaben. Du brauchst nicht jede Konstellation, nicht jedes Wort und nicht jedes Zeichen kennen. Vieles erschließt sich aus dem Kontext, der auch bei Gleichungen wichtig ist. Zudem lassen sich bspw. im chinesischen viele Zeichen in sogenannte Radikale aufplitten, die jeweils für sich selbst betrachtet eine eigene Bedeutung haben und durch die man auf die Bedeutung des daraus aufgebauten Zeichens schließen kann. In dem chinesischen Schriftzeichen für Wald
森
versteckt sich z. B. das Zeichen für Baum:
木
Dieses kommt dreimal vor und deutet an, dass es sich bei diesem Zeichen um etwas handeln muss, an dem viele Bäume beteiligt sind. Aus diesen Informationen darauf zu schließen, dass eine Ansammlung „vieler Bäume“ einen Wald beschreibt, ist dann recht einfach.
Auch in der Mathematik gibt es eine Vielzahl an Zeichen und Fachbegriffen zu lernen, die im Kontext der Chinesischen Sprache Zeichen und Wörter wären. Um eine Gleichung lesen zu können, kannst du sie in ihre Bestandteile aufteilen und sie so durchdringen. Genauso, wie du die Bedeutung chinesischer Schriftzeichen durch Aufplitten in ihre Bestandteile erschließen kannst.
Gleichungen bewegen sich auf verschiedenen Abstraktionsebenen. Die Aussage „Wenn die Sonne scheint, dann gehen wir ins Schwimmbad und essen ein Eis“ kannst du mathematisch z. B. so ausdrücken: $$\text{„Die Sonne scheint \(\Longrightarrow\) Wir gehen ins Schwimmbad \(\wedge\) Wir essen Eis“}$$ Eine Abstraktionsebene drüber ist $$\text{„\(S_1 \Longrightarrow S_2 \wedge E\)“}$$ Während wir als Menschen der letzten Darstellung ohne Kontext kaum Informationen entnehmen können, wissen wir die prosaische Formulierung gedanklich einzuordnen. Wir haben direkt ein Bild vor Augen. Um auch die kryptisch wirkende Form dieser Aussage verstehen zu können, wird eine Erklärung der einzelnen Zeichen benötigt. Wenn du weißt, was \(S_1\), \(S_2\) und \(E\) bedeuten und wie der Implikationspfeil \(\Longrightarrow\) und das Konjunkiontssymbol \(\wedge\) zu lesen sind, kannst du den mathematischen Formalismus in die natürliche Sprache übersetzen und so verstehen. Die abstrakte Darstellung hat aber durchaus ihre Vorteile: Du kannst für \(S_1\), \(S_2\) und \(E\) (wie für Variablen) beliebige andere Aussagen einfügen und diese auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Du siehst, dass der Abstraktionsgrad, den eine Gleichung bietet, eine Struktur weniger sperrig und somit dynamisch macht. Dieses Konzept findet nicht umsonst so zahlreich Anwendung in der Softwarearchitektur.
Es gibt für eine Struktur allerdings nicht nur eine abstrakte Beschreibung: Ein und dasselbe Konzept kann auf unterschiedliche Arten ausgedrückt werden. So, wie man Liebe auf hunderte von Arten verbalisieren kann, ist es auch mit mathematischen Zusammenhängen. $$a^2+b^2=c^2$$ ist genau genommen nicht der Satz des Pythagoras! Erst wenn du diese Symbole einem Kontext, nämlich dem rechtwinkligen Dreieck mit den Ecken \(A\), \(B\) und \(C\) zuführst, werden aus \(a\) und \(b\) die beiden Katheten und aus \(c\) die Hypotenuse. Und erst dann wird aus \(a^2+b^2=c^2\) der Satz des Pythagoras. Es geht, wie schon mehrfach erwähnt, um das Konzept und nicht um die Symbole. Du könntest auch \(a^2+s^2=b^2\) oder \(a^2+m^2=t^2\) schreiben. Vielleicht ist der Kontext aber auch das Schreiben eines Programms, das Zahlentripel \((x,y,z)\) mit der Eigenschaft $$x^2+y^2=z^2$$ findet. Also \((8,15,17)\) mit \(8^2+15^2=17^2\) ohne eine geometrische Bedeutung.
Ich werde immer wieder gefragt, ob ich nicht ein Video zu Thema \(X\) in [hier beliebige Programmiersprache einfügen] machen könnte. Wenn du das Konzept verstanden hast, ist die konkrete Implementierung ein Kinderspiel. Dann ist es egal, ob du z. B. ein Array in Java, PHP oder C++ implementierst. Deshalb gibt es auf meinem Channel auch die Reihe „Alle Programmiersprachen lernen“, in der du die abstrakten Ideen des Programmierens kennenlernst, die man dann in konkrete Implementierungen in den jeweiligen Programmiersprachen gießt.
3. Vorgehensweise
In der Schule begegnen einem Gleichungen oft erstmals in der Mittelstufe. Allerdings sind diese konstruiert und dienen einzig und alleine dem Zweck, dir das Handwerk der Gleichungsumformung beizubringen. Für den Anfang ist das aber auch notwendig, damit du Gleichungen, die ein reales Phänomen oder eine Struktur beschreiben, „flüssig“ lesen kannst.
Doch wie kannst du Herr langer Gleichungen wie z. B. $$2\cdot (x+1)^2 = \sqrt{x+1}$$ werden? Ein sinnvoller Ansatz ist es, sich Bestandteile zu markieren und zu überlegen, wie du mit ihnen umgehst. So ähnlich arbeitet unser Gehirn beim Übersetzen eines Satzes einer Sprache, die es gerade neu erlernt. Wo ist das Subjekt, wo das Prädikat und wo das Objekt? Hat dein Gehirn diese Bestandteile identifiziert, weiß es, wie es damit umgehen muss.
Bei der oben genannten Gleichung kannst du z. B. zuerst zwischen der linken und der rechten Seite unterscheiden. Das ist die obere Abstraktionsebene.
Nun kannst du die linke Seite näher analysieren und erkennst die Struktur \(a\cdot b\), also dass irgendetwas mit irgendetwas anderem multipliziert wird. Betrachtest du die beiden Faktoren genauer, so stellst du fest, dass es sich bei dem linken Faktor um eine Zahl und bei dem rechten Faktor um eine Potenz der Form \(m^n\) handelt. Diese Potenz ist wiederum ein zusammengesetztes Objekt aus einer Basis \(m\) und einem Exponenten \(n\). Der Exponent ist eine einfache Zahl (sozusagen eine atomare, nicht weiter zerlegbare Einheit) und die Basis ist eine Summe aus zwei Summanden. Der erste Summand ist eine Variable und der zweite Summand erneut eine Zahl.
Die rechte Seite kannst du analog nach dem Prinzip „Divide and Conquer“ bearbeiten. Die rechte Seite ist eine Wurzel der Form \(\sqrt{r}\). Der Wurzelexponent ist \(2\), da auf dem Bogen des Wurzelzeichens keine Zahl aufgeführt ist und das signalisiert, dass eine Quadratwurzel vorliegt. Der Radikand \(r\) ist wiederum eine Summe, bestehend aus den Summanden \(x\) und \(1\).
Letztendlich erzeugst du durch diese Herangehensweise (wie der Computer) einen Strukturbaum. Dieser hilft dir dabei, komplexe Strukturen auf ihre wesentlichen Bestandteile zu reduzieren und eine inhaltliche Verknüpfung herzustellen.
Ich hoffe, dass dir dieser Artikel dabei hilft, Gleichungen zukünftig aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und dich nicht von kompliziert aussehenden Symbolen blenden zu lassen.
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