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Ich möchte den Differenzenquotienten der zweiten Ableitung mit dem zentralen Differenzenverfahren herleiten. Ich komme nicht ganz auf das richtige Ergebnis; hier meine Vorgehensweise:

\( \dot{y}(t) = \frac{y(t+ \Delta t) - y(t-\Delta t)}{2 \Delta t} \) für die erste Ableitung und analog für die zweite Ableitung

\( \ddot{y}(t) = \frac{\dot{y}(t+ \Delta t) - \dot{y}(t-\Delta t)}{2 \Delta t} \)

Für die Ableitungen kann ich mit dem zentralen Differenzenquotienten wieder schreiben:

\( \dot{y}(t+\Delta t) = \frac{y(t+ 2\Delta t) - y(t)}{2 \Delta t}  \)und

\( \dot{y}(t-\Delta t) = \frac{y(t) - y(t-2\Delta t)}{2 \Delta t} \)

Dies wieder in die Beschleunigung eingesetzt ergibt:

\( \ddot{y}(t) = \frac{y(t+ 2\Delta t) - 2y(t) +  y(t-2\Delta t)}{4 \Delta t^2} \)

Die richtige Lösung ist jedoch:

\( \ddot{y}(t) = \frac{y(t+ \Delta t) - 2y(t) +  y(t-\Delta t)} {\Delta t^2} \)

Wo liegt hier mein Fehler? Ich vermute bei \( \dot{y}(t+\Delta t) \) bzw. \( \dot{y}(t-\Delta t) \). Allerdings weiß ich nicht was daran falsch sein sollte.


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Aloha :)

Die gewählte Näherung ist gut, aber nicht optimal

Vermutlich möchtest du die erste und die zweite Ableitung in einem Rechner numerisch bestimmen, indem du statt der Grenzwertbildung für \(\Delta t\) einen möglichst kleinen Wert einsetzt. Nur für diesen Zweck bietet die beschriebene Form des Differenzenquotienten$$y'(t)\approx\frac{y(t+\Delta t)-y(t-\Delta t)}{2\Delta t}\quad\checkmark$$ einen Vorteil. Allerdings einen sehr erheblichen, wie ich gleich noch zeigen werde.

Die Idee, damit die zweite Ableitung auf analoge Weise zu bilden, ist gar nicht so schlecht, denn:$$y'(t+\Delta t)\approx\frac{y(t+\Delta t+\Delta t)-y(t+\Delta t-\Delta t)}{2\Delta t}=\frac{y(t+2\Delta t)-y(t)}{2\Delta t}$$$$y'(t-\Delta t)\approx\frac{y(t-\Delta t+\Delta t)-y(t-\Delta t-\Delta t)}{2\Delta t}=\frac{y(t)-y(t-2\Delta t)}{2\Delta t}$$$$y''(t)\approx\frac{y'(t+\Delta t)-y'(t+\Delta t)}{2\Delta t}=\frac{y(t+2\Delta t)-2y(t)+y(t-2\Delta t)}{(2\Delta t)^2}$$Und das kommt schon fast an die "richtige" Formel heran, nur dass hier die effektive Intervallgröße mit \(2\Delta t\) verdoppelt ist und du die Funktion 4-mal statt nur 3-mal auswerten musst. Aber wirklich falsch ist deine Formel nicht, sie ist nur weniger gut.

Die 1-te Ableitung mit dem modifizierten Differenzenquotienten

Wir betrachten die Taylor-Entwicklung von \(y(t)\):$$y(t\pm\Delta t)=y(t)\pm y'(t)\,\Delta t+\frac{y''(t)}{2}\,(\Delta t)^2\pm\frac{y'''(t)}{6}\,(\Delta t)^3+\frac{y''''(t)}{24}\,(\Delta t)^4+O((\Delta t)^5)$$

Wenn wir damit den gewohnten Differenzenquotienten bilden, erhalten wir:$$\frac{y(t+\Delta t)-y(t)}{\Delta t}=\frac{[y(t)+y'(t)\,\Delta t+O((\Delta t)^2)]-y(t)}{\Delta t}=y'(t)+O(\Delta t)$$Das heißt, der Wert dieses Differenzenquotienten weicht mit \(O(\Delta t)\) vom tatsächlichen Wert \(y'(t)\) ab. Das ist sehr ungenau und für die meisten numerischen Berechnungen unzureichend. Ganz anders sieht es aus, bei dem modifizierten Differenzenquotienten mit \(2\Delta t\) im Nenner:$$\phantom{=}\frac{y(t+\Delta t)-y(t-\Delta t)}{2\Delta t}$$$$=\frac{[y(t)+y'(t)\,\Delta t+\frac{y''(t)}{2}(\Delta t)^2+O((\Delta t)^3)]-[y(t)-y'(t)\,\Delta t+\frac{y''(t)}{2}(\Delta t)^2-O((\Delta t)^3)]}{2\Delta t}$$$$=\frac{2y'(t)\,\Delta t+2\,O((\Delta t)^3)}{2\Delta t}=y'(t)+O((\Delta t)^2)$$Das heißt, der Wert dieses modifizierten Differenzenquotienten weicht in der Größenorndung \(O((\Delta t)^2)\) vom tatsächlichen Wert \(y'(t)\) ab.

Die "bessere" Formel für die 2-te Ableitung

Die Idee für die zweite Ableitung dürfte jetzt klar sein. Wenn wir zur Taylor-Reihe für \(y(t+\Delta t)\) diejenige für \(y(t-\Delta t)\) addieren, fallen alle ungeraden Ableitungen raus. Wenn wir zusätzlich noch \(2y(t)\) subtrahieren, bleiben nur Terme mit geraden Ableitungen ab Level \(2\) übrig. Wir tun das einfach mal:$$y(t+\Delta)+y(t-\Delta t)-2y(t)=2\frac{y''(t)}{2}\,(\Delta t)^2+2\frac{y''''(t)}{24}\,(\Delta t)^4+O((\Delta t)^6)$$und erhalten daraus eine sehr gute Näherung für die zweite Ableitung, die ebenfalls nur in der Größenorndung \(O((\Delta t)^2)\) vom tatsächlichen Wert für \(y''(t)\) abweicht:$$y''(t)\approx\frac{y(t+\Delta t)-2\,y(t)+y(t-\Delta t)}{(\Delta t)^2}\quad\checkmark$$

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Grundgütiger, Tschaka, was stellst du denn auf die Beine, wenn du mal Langeweile hast?

Das war mal eine sehr schöne andere Frage als sonst hier üblich. Das macht Spaß und man kann nebenbei ja auch noch Netflix gucken ;)

Ach so, du machst das auch noch so nebenbei... Unfassbar! Irgendwann, wenn ich mal viel Zeit habe, nehme ich bei dir Nachhilfestunden in Latex und beim Mathecoach in Stochastik, und von Werner lerne ich dann noch geoknecht, während wächter oder abakus mich in geogebra fit machen. Anton gibt mir dann noch Unterricht in Philosophie. Ihr seid wirklich Granaten!

Hallo Tschakabumba,

vielen Dank für deine hervorragende Antwort! Deine Erklärungen sind schlüssig und ich habe die Herleitung verstanden.

Eine kleine Frage habe ich noch bzgl. der Ordnung des Fehlers. Du schreibst ja z. B. für die 1. Ableitung:

\( \frac{y(t+\Delta t)-y(t)}{\Delta t} = y \prime{}(t) + O(\Delta t) \) ,

auf der rechten Seite steht die Ableitung + ein Fehlerterm (hier geht delta t linear ein).

Aber ich könnte doch genau so schreiben:

\( \frac{y(t+\Delta t)-y(t)}{\Delta t} = y \prime{}(t) + O(\Delta t) +O((\Delta t)^2) \) 

Bei dieser Variante steht rechts wieder die Ableitung, aber diesmal 2 Fehlerterme (1x linear und 1x quadratisch).

Muss ich zum Angeben der Fehlerordnung immer die kleinste Potenz von \( \Delta t\) anschauen? Oder ist die Erklärung eine andere?

Aloha Simon ;)

Bei der \(O\)-Notation gibt man ja immer den asymptotischen Verlauf (bis auf eine Konstante) an. Da \(\Delta t\ll1\) ist, dominiert der Fehlerterm von der Ordnung \(\Delta t\) und die Beiträge höherer Potenzen von \(\Delta t\) sind vernachlässigbar.

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