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Der Suchbegriff ‚digitales Lernen Schule‘ führt unter anderem auf diesen Link:

schleswig-holstein.de - Digitale Schule - Lernen - Unterrichten mit digitalen Medien

und dort zu dieser Definition des Terminus ‚digitales Lernen‘:


Smartboard statt Tafel, Präsentationen vom Tablet, Aufgaben aus der Cloud statt aus dem Schulbuch - die Digitalisierung bringt Herausforderungen und bietet Chancen.

Damit werden Medien herkömmlichen Lernens wie Lehrbuch Lehrperson, Wandtafel oder Papier um das Medium ‚digitales Werkzeug‘ ergänzt. Wenn das Adjektiv ‚digital‘ nur beschreiben soll, welches Medium zum Einsatz kommt, wären Termini wie ‚Schulbuchlernen‘, ‚Unterrichtslernen‘ oder ‚analoges Lernern‘ ebenfalls angebracht. Niemand hat diese Vokabeln je verwendet oder ihre Verwendung zwecks Differenzierung von Lernprozessen für erforderlich gehalten. Die wesentliche Frage findet sich im darauffolgenden Text:

Wo können digitale Medien sinnvoll ergänzen?‘ Welche digitalen Unterrichtsinhalte und Anwendungen gibt es überhaupt?

Hier wird dann betont, dass die Kulturtechniken ‚Lesen und ‚Schreiben‘ nun durch eine weitere ergänzt werden: ‚digitaler Werkzeuggebrauch‘. Selbstverständlich muss Schule auch diese Kulturtechnik vermitteln, zumal sie einige bisher nicht gekannte Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt. Unter den sechs definierten „Kompetenzbereichen in der digitalen Welt“ , die berücksichtigt werden sollten, wenn Unterricht konzipiert wird:


1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
2. Kommunizieren und Kooperieren
3. Produzieren und Präsentieren
4. Schützen und sicher agieren
5. Problemlösen und Handeln
6. Analysieren und Reflektieren

findet man unter 4. immerhin die Erwähnung des Sicherheitsrisikos beim digitalen Werkzeuggebrauch. Daneben gibt es aber auch gerade bezüglich des Punktes 6. weitere Risiken:

- „Welche für das Lernen wichtige Denkhandlungen können durch digitale Werkzeuge obsolet werden?“

- „Welche Begriffe verschüttet das viel zu schnelle Bild oder Ergebnis?“

Im Mathematikunterricht lassen sich da einige Beispiele finden: Schüler*innen, die immer nur digital rechnen, finden keinen Zugang zu den Begriffen ‚Distributivgesetz‘ und ‚Kommutativgesetz‘. Im Zusammenhang mit der Einführung des Integralbegriffes müssen Flächeninhalte von beliebig vielen Rechtecken gleicher Breite und je einer durch eine Funktion gegebenen Höhe addiert werden. In verallgemeinerter Form (und auch schon für große Anzahlen) gelingt dies nur durch geschickte Anwendung der Umkehrung des Distributivgesetzes. Der neunjährige Carl-Friedrich Gauß konnte bereits die Summe jeder endlichen arithmetischen Reihe in Sekunden bestimmen, weil er Rechengesetze soweit verinnerlicht hatte, dass er sie anwenden konnte. Schüler*innen, welche Bruchrechnung immer nur mit einem digitalen Werkzeug durchführen, können einen Differenzenquotienten nie selbständig in eine gekürzte Form überführen, um den Differentialquotienten selbständig zu finden.

Die Schüler*innen, welche Funktionen in ihren unterschiedlichen Präsentationsformen immer nur digital darstellen, verinnerlichen den Funktionsbegriff nicht. Damit ist dann unter anderem auch der verstehende Zugang zu Begriffen wie ‚trigonometrische Funktionen‘ oder ‚Exponentialfunktionen‘ verbaut. Exemplarisch sei hier angefügt, dass ohne die Entwicklung des Graphen der Sinusfunktion aus der Definition des Sinus im Einheitskreis die folgende Frage inhaltsleer bleibt: „Für welche Winkel hat der Sinus die Größe 0,5?“ Das digitale Werkzeug gibt zwar eine endliche Anzahl von Antworten aber selbst deren Herkunft bleibt im Dunkel.

Eine Veröffentlichung der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) aus dem Jahr 2016 nennt als Ziel "eine selbstbestimmte Teilhabe von allen Schülerinnen und Schülern an der digital geprägten Gesellschaft.“ Einreihen und mitreden können – darum ging es. Von Chancen auf einen echten Gewinn mittels digitaler Werkzeug war nicht die Rede. Und von den Risiken wurde lediglich das Sicherheitsrisiko erwähnt. Immerhin weist die KMK darauf hin, dass Bildungspläne und Unterrichtsentwicklung nun folgen müssen. Hier ist allerdings seit einem halben Jahrhundert kein Konzept für einen wissenschaftlich begründeten und praktisch erprobten Einsatz digitaler Werkzeuge etwa im Mathematikunterricht vorgelegt worden.

Eine ergänzende Empfehlung der KMK aus dem Jahre 2021 legt den Fokus auf die notwendigen digitalen Schulentwicklungsprozesse und auf die Qualifizierung der Lehrkräfte in didaktischer und technischer Hinsicht. Das Ziel ist jetzt, die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Das geht wesentlich über das Ziel der digitalen Teilhabe hinaus. Aber auch darin steckt wiederum nur eine Absichtserklärung, deren Umsetzung an anderer Stelle – vermutlich in den Bildungsbehörden oder vor Ort – zu erfolgen habe. Im Einzelnen wird ausgeführt, dass


digitale Möglichkeiten ein tieferes Verständnis beziehungsweise erweiterte Funktionen der Lerngegenstände ermöglichen, wie beispielsweise Simulationen, dynamische Modellierungen oder kollaboratives Problemlösen.

Bezogen auf den Mathematikunterricht existiert für dynamische Modellierungen bereits eine anwendungstaugliche Software (DGS). Simulationen sind mit Computeralgebra (CAS) durchführbar, wenn CAS tiefgehend beherrscht wird. Aufgaben zum CAS- oder DGS-Einsatz findet man vereinzelt in der Fachliteratur. Dabei wird bezüglich des CAS-Einsatzes in fast allen Beispielaufgaben nicht erkennbar, worin der Vorteil von CAS gegenüber dem Einsatz eines grafikfähigen Taschenrechners (GTR) besteht. Ähnliches gilt auch für die in der Literatur aufgeführten Beispiele zum DGS-Einsatz. Vieles ist hier ebenso gut mit herkömmlichen Konstruktionen erreichbar. Ursache für diese Mängel in der modernen Aufgabenkultur ist vor allem die Tatsache, dass die Themen vorgegebener Stoffpläne sehr arm an Gelegenheiten sind, bei denen CAS oder DGS einen echten Vorteil bilden. Auch eine Sammlung von derartigen Aufgaben fehlt bisher – vermutlich aus dem gleichen Grund. Abhilfe könnte hier die Aufnahme zum Beispiel folgender Themen in die Stoffpläne schaffen:


- Geschichte der Mathematik (etwa: ‚Näherungsverfahren aus der vordigitalen Zeit‘).

- Zahlentheorie (etwa: Simulationen des Euklidischen Algorithmus für irrationale kombiniert mit rationalen Zahlen).

Das globale Lernziel jeglichen Mathematikunterrichtes


„Mathematikunterricht soll erlebbar machen, wie mathematische Wissensbildung geschieht.“


wird mit der Erwähnung von Simulationen und dynamischen Modellierungen zwar tangiert aber bedauerlicherweise nicht explizit genannt.

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