Es mag bei wirklich seltenen Einzelfällen zutreffen, dass man sich die Lösung nicht anschaut, aber diese Leute sind dann in der Regel sowieso schon "fitter" als diejenigen, die nicht einmal die Grundlagen der Bruchrechnung beherrschen.
Du studierst doch selbst noch. Ich weiß nicht, wie intensiv der Kontakt mit deinen Kommilitonen ist, aber bereits da sollte schon auffallen, dass diejenigen, die sich regelmäßig selbst mit den Aufgaben beschäftigen, die besseren Klausuren schreiben. Da könnte man sicherlich eine Studie zu machen, die das noch wissenschaftlich belegt.
Es ist so ungemein wichtig, dass man sich mit der Mathematik selbstständig auseinandersetzt und dazu gehört eben eigenständiges Rechnen, Ausprobieren, Irrwege laufen etc. Nur dadurch kann ein Gefühl für die Dinge entwickeln, was funktioniert und was nicht, vor allem im Studium, wenn es darum geht, Ausdrücke abzuschätzen, Grenzwerte zu berechnen und so weiter. In der Schule mag man vielleicht noch "auf Rezept" lernen können und damit durchs Abi kommen, aber an der Uni ist das definitiv vorbei.
Und ich finde, wir sollten diesen Leuten durch Musterlösungen eben nicht die Chance nehmen, entsprechenden Tipps und Hinweisen unsererseits nachzugehen und selbst Lösungsstrategien zu entwickeln. Man kann doch bereits hier im Forum feststellen, dass jeder Helfer für sich zu bestimmten Problemstellungen eine andere Vorgehensweise bevorzugt. Und das, was einem eben am meisten liegt, muss jeder für sich noch herausfinden und entwickeln. Diese Fähigkeit wird durch vorgegebene Musterlösungen aber einfach genommen.
Ja, Musterlösungen können eine Hilfe sein, aber durch das Lesen und Verstehen solcher lernt man keine Mathematik. Wie @nudger schon sagte, gibt es überall unzählige Beispiele mit anderen Zahlen, Funktionen, etc. Die Leute schaffen es dennoch nicht, das angeblich "gelernte" auf ihr Problem anzuwenden. Jetzt darf sich jeder einmal fragen, warum das so ist.
Ich kann vielleicht auf dem Klavier "Alle meine Entchen" spielen, weil mir jemand gezeigt hat, welche Tasten ich drücken muss. Deswegen kann ich aber noch lange nicht "Alle Vögel sind schon da" spielen, weil ich einfach die grundlegende Technik des Klavierspiels gar nicht beherrsche. Das lässt sich genau so auf die Mathematik übertragen. Nur weil ich Rechnungen und Umformungen nachvollziehen kann, wenn ich sie lese, bin ich noch lange nicht in der Lage, selbst auf derartige Rechnungen zu kommen. Und genau dieses Problem wird vielen zum Verhängnis und lässt sich auch immer wieder hier im Forum beobachten.
Des Weiteren kann ich aus meiner Arbeit mit vielen verschiedenen Schülern noch die Erfahrung mitbringen, dass diejenigen, die sich zwischendurch noch selbstständig mit Aufgaben beschäftigen, sich wesentlich mehr verbessern als diejenigen, die sich nur in den Terminen mit mir mit der Mathematik beschäftigen. Dort sind nur selten Verbesserungen zu beobachten. Immerhin bleiben die Leistungen mehr oder weniger konstant.
Und jetzt stell dir einmal selbst die Frage, mit welcher Methode du Mathematik besser verstehst. Wenn du hier Fragen gestellt hast, hast du bereits immer deine Lösung mitgeliefert. Das hatte den Vorteil, dass man dich direkt auf DEINE Probleme und DEINE Schwierigkeiten hinweisen konnte. Hätte dir jetzt irgendjemand eine andere Lösung vorgesetzt, hättest du zu DEINER Lösung nach wie vor kein Feedback und wüsstest nicht, ob deine Gedanken richtig sind oder nicht.
Und ich betone das hier nochmal: Eine Kontrolllösung ist keine Musterlösung! Ein Ergebnis zur Kontrolle ist sicherlich hilfreich, ersetzt aber auch nicht die Auseinandersetzung mit der Aufgabe, wohingegen eine Musterlösung so verlockend ist, sich gar nicht mehr mit der Aufgabe auseinanderzusetzen.
Fun fact: Ich kenne einen Hiwi, der hat in seiner Ü-Gruppe erst die Hausaufgaben vorgerechnet, und direkt danach durften die Studis diese abgeben (vorgesehen war es natürlich umgekehrt). Seine Begründung: dieses Vorgehen würde die ihm obliegende Korrektur der Hausaufgaben enorm erleichtern...
Ich hoffe, er war danach nie wieder als HiWi tätig.