Im Ernst, nach meinem Verständnis ist der Unterschied zwischen Schulmathematik, Universitätsmathematik und der echten Mathematik dieser:
- In der Schule lernst du Rechnen, jedenfalls bis zum Thema "quadratische Ergänzung", denn jedenfalls ab dann muss man Gleichungen zackzack (Zeitnot!) ansehen, wie man sie so umbaut, dass man ein paar vorher gelernte Formeln darauf werfen kann, um sie so hinzutricksen, dass man sie innerhalb der Zeit lösen kann -- bis dahin gilt aber die Leistung entlang der Aufgabe eben noch als Leistung, auch wenn man das Ziel verfehlt.
Hier ist einfach Lösen von Aufgaben gefragt.
- In der Oberstufe lernst du in der Regel zwei neue Kalküle, nämlich die Grundlagen von Analysis und Algebra, garniert mit ein bisschen Stochastik. Bereits jetzt KÖNNTE der Lehrplan etwas ganz Neues tun, aber dazu kommen wir leider später erst.
Hier ist vor allem mathematisches Talent, das "Sehen" von Lösungsansätzen gefragt, etwa bei komplizierteren Integralen, bei denen mal einmal mehr "tricksen" muss.
- In technischen Studiengängen, auch in den Anfängen eines klassischen Physikstudiums, wird schon einiges an Grundlagen geboten, das man viel früher hätte haben sollen (ich erspare mir an dieser Stelle jegliche Kritik an Eltern, die zu meiner Kindheit vehement gegen die Mengenlehre in der Grundschule gewettert haben... und bis heute nicht wissen, was "+" eigentlich heißt, eifersüchtig knurren und auf ihren Ringfinger schauen, wenn wer von einem "Halbring" spricht, die Polizei rufen würden, wenn sie eine "Abel'sche Gruppe" ansprechen würde und sich nur dann, wenn sie heimliche Lesben sind, über das "begleitende Dreibein" amüsieren können...).
Einige für das Wohl der Wirtschaft nötige Dinge werden schnell hingerotzt und zum Selbstlernen befohlen. Da ist es wieder bloß Pauken, Üben und Hinnehmen, dass man schnell wirtschaftlich tauglich ist.
- In wirklcher Mathematik hinterfragt man all das. Die 1 in "1 + 1 = 2", genau wie das + und das = und die 2. Oder besser, man lernt es übergreifend.
Ich hatte jedenfalls mal eine auf gerade noch 4- stehende 12-jährige Nachhilfeschülerin, der ich mit den üblichen Tricks von erfahrenen Nachhilfelehrern auf eine Spitz-auf-Knopf-3- verholfen habe, die von sich aus auf einmal Interesse an Mathe bekam. Ich musste sie zigmal bremsen (also frustrieren), weil sie sehr kluge Fragen stellte auf einmal, aber immer etwas sehr Praktisches (halt für ihren Unterricht) wollte. Als ich sie aber soweit hatte, dass sie gut ein Jahr später selbst neugierig geworden war, so neugierig, dass ich mich auch anstrengen musste, hatte sie auf einmal Geduld, und ihre Eltern waren mit der 3 ja auch zufrieden. Ihre Mathe-Prüfung im Abi hat sie mit 14 Punkten gemacht, weil sie zwei Lösungen als Wurzeln hingeschrieben hat statt als ausgerechnete Zahlen.
Sie hatte nämlich angefangen, die Zusammenhänge zu verstehen und sich daraus ihre eigenen Lösungswege zu suchen. Weil sie angefangen hatte zu verstehen, dass der Schlüssel zu Mathe nicht Hausaufgaben, nochnochnochmal Rechnen ist, sondern Verstehen.
Verstehen muss man, aber erst, wenn man auf diesen Level zurückgeführt wird, dass eine mathematische Wahrheit keine Wahrheit in der eigenen Erfahrungswelt ist. Aber man muss es wirklich verinnerlichen. Dann fällt es auf einmal leicht zu akzeptieren, dass man sich mathematische Zusammenhänge nicht vorstellen können muss, um sie einfach auszurechnen. "Die Y-Achse steht senkrecht auf der X-Achse" (in einem VONS(2)). "Die Z-Achse steht senkrecht auf beiden Achsen" (in einem VONS(3)). "Die T-Achse steht senkrecht auf X-, Y- und Z-Achse, aber rückwärts" (im Minkowski-Raum), "oder alle Vorzeichen andersherum" (übliche Rechenregeln in der klassischen Quantenmechanik).
Dazu muss man sich aber von den von Lehrern, Erfahrung, Eltern usw. vermittelten Tradidionen trennen und "senkrecht" und "Zeitachse" und "Vorzeichen" einfach bloß als Namen für Zusammenhänge hinnehmen, damit man über sie reden kann. Die Sprache der Mathematik besteht aus Formelzeichen und ihren Definitionen und der Aneinanderreihung dieser Zeichen zu Definitionen, Formeln, Sätzen, Gleichungen, Gleichungssystemen, Kalkülen, Beweisen und dem Beweisen dieser Beweise.
.
.
.
Wer bloß sein Abi oder Studium schaffen will, muss halt damit leben, dass er pauken, pauken, pauken und Übungsaufgaben rechnen, rechnen, rechnen muss.