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Liebe Matheexperten bzw. –genies,
Ihnen schreibt ein reichlich betagter Chemiker (104. Semester), den aber immer noch ab und an die Neugier plagt.
Bei einem dieser Fälle ist eine mathematische Operation erforderlich (Kombinatorik? – Wahrscheinlichkeitsrechnung??), die weit jenseits meiner Möglichkeiten liegt. Deshalb nehme ich mir heraus, einmal bei diesem Forum nachzufragen, ob mir jemand helfen kann oder zumindest den Weg zu einer Lösung zeigen kann/will/möchte.

Dies ist mein Problem: Gegeben ist ein langgestrecktes Molekül, welches an beiden Enden jeweils eine sehr reaktionsfreudige Gruppe enthält. Diese reaktionsfreudigen Gruppen sind an beiden Enden des Moleküls identisch. Blödes, aber vielleicht anschauliches Beispiel: Eine Verlängerungsschnur, welche an beiden ihrer Enden einen Stecker (d. h. ein männliches Steckelement) besitzt.
Von dem so beschrieben „bifunktionalen“ Molekül existiert eine Lösung in einem hierfür geeigneten Lösungsmittel. Wieder ein blödes Beispiel: In einem Volumen von 1.000 ml soll ein Mol jenes bifunktionalen Moleküls (= 6 x 1023 Moleküle) gelöst sein.

Zu dieser Lösung soll langsam ein sehr kleineres Molekül zugefügt werden. Dieses zweite Molekül enthält nur eine funktionelle Gruppe, welche rasch und vollständig in der Lage ist, mit den funktionellen Gruppen des o. g. bifunktionalen Moleküls zu reagieren. Als plakatives Beispiel: Das zweite, kleinere Molekül enthält eine „Steckdose“, welche vollständig zu dem o. e. Stecker passt.

Das erste kleine, monofunktionale Molekül, welches der Lösung zugesetzt wird, reagiert rasch mit einem der großen bifunktionalen Moleküle unter Bildung eines einseitig substituierten Reaktionsprodukts. Das zweite kleine, monofunktionale Molekül, das jetzt der beschriebenen Lösung zugesetzt wird, trifft auf eine Lösung, welche ein Mol des großen bifunktionalen Moleküls, und in dieser Lösung existiert ein einziges einseitig substituiertes großes Molekül. Damit ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, mit welcher die Reaktion stattfindet, und es gehört wohl wenig Phantasie zu der Annahme, dass sich ein zweites einseitig großes Molekül bilden wird.

Es ist klar, dass man das große Molekül vollständig und beidseitig substituieren wird, wenn man zwei Mole des kleinen monofunktionalen Moleküls hinzusetzt. Wieder blödes Beispiel: Alle Stecker haben sich an eine Steckdose angekoppelt.

Aber nun die Frage: Wie ist die Verteilung, wenn man der Lösung des großen Moleküls genau die Hälfte (d. h. 1 Mol) des kleinen Moleküls zusetzt? Man wird ohne Zweifel ein Gemisch haben von beidseits, einseitig und überhaupt nicht umgesetzten großen bifunktionalen Molekülen, während die Lösung keinerlei freie kleine Moleküle enthält, weil diese, wie bereits erwähnt, rasch und vollständig reagieren. Aber in welchem Mengenverhältnis liegen diese drei vorerwähnten Typen vor? Intuitiv sehe ich zwei Szenarien: Entweder wir haben 50% monosubstituierte und jeweils 25% beidseits plus überhaupt nicht reagierte große Moleküle, oder aber wir haben von jedem dieser drei Möglichkeiten jeweils 33%. Vielleicht gibt es zwischen diesen beiden Szenarien ja auch noch Übergänge …

Kann man dies ausrechnen und – falls ja – wie? Gibt es vielleicht ein Nomogramm, mit dem man für jedes beliebige molare Verhältnis die Zusammensetzung des Reaktionsgemischs bestimmen kann?

Dankeschön schon mal vorab & freundliche Grüße
Martin Schmitt (sehr neugierig u. gespannt)
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wenn ich Ihre Aufgabe mal modellieren und verinfachen darf, so lautet sie:

Verteile \( N \) Steckdosen auf \( 2 N \) Stecker, beziehungsweise gib die Wahrscheinlichkeit für jeden der drei Zustände "bifunktional", "monofunktional" und "nicht-funktional" an.

Stellen wir uns die Stecker-Stangen als Streichhölzer mit ausgezeichneten Steckern "oben" und "unten" vor, dann sind im wahrscheinlichsten Fall, beziehungsweise im statistischen Mittel oben genauso viele Steckdosen wie unten, nämlich \( \frac{N}{2} \).

Wir geben dabei nur den Erwartungswert dieser symmetrischen Verteilung an. Wollten wir die bloße Verteilung "oben" oder "unten" modellieren, so würde dies mit der Binomialverteilung geschehen.

Die intuitive Annahme, dass im statistischen Mittel \( 25 \% \) bifunktionale, \( 50 \% \) monofunktionale und \( 25 \% \) nicht-funktionale Streichhölzer auftreten, ist daher durchaus gerechtfertigt.

Eine allgemeine Formel für \( p \) als Parameter, der die Anzahl der Steckdosen bezogen auf die Stecker beschreibt, lautet

\(P(\)bifunktional\() = p^2 \),

\(P(\)monofunktional\() = 2 \cdot p(1-p) \),

\(P(\)nicht-funktional\() = (1-p)(1-p) \).

In unserem Beispiel ist \( p = \frac{1}{2} \). Plausibel gilt für \(p = 1\), dass alle Streichhölzer bifunktional sind. Für \( p = 0 \) lautet die Plausibilitätsbetrachtung, dass nur nicht-funktionale Streichhölzer vorkommen.

Wenngleich Sie zunächst vielleicht annahmen, man müsste ein chemisches Potenzial \( \mu \) oder ähnliches einführen, so ist dies in diesem diskreten Fall überhaupt nicht notwendig.

MfG

Mister

PS: Für die Berechnung der drei Wahrscheinlichkeiten habe ich die Regel für unabhängige Ereignisse benutzt:

P("oben besetzt" und "unten besetzt") = P("oben besetzt") * P("unten besetzt"),

P("oben besetzt" und "nicht unten besetzt") = P("oben besetzt") * (1 - P("unten besetzt")),

P("nicht oben besetzt" und "unten besetzt") = (1 - P("oben besetzt")) * P("unten besetzt"),

P("nicht oben besetzt" und "nicht unten besetzt") = (1 - P("oben besetzt")) * (1 - P("unten besetzt")).
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