Die Pisa-Studie hat Diskussionen über schulische Bildungsziele ausgelöst. Die Bildungspolitik hat im Rahmen dieser Diskussion die Bildungsziele für Schule und Universität neu festgelegt. Das Bildungswesen wird den Zielen eines Wirtschaftsbetriebes angeglichen. Es geht nicht mehr um Bildung im humanistischen Sinne. Die Schulen sollen nicht mehr verstandenes Weltwissen vermitteln und zur Mündigkeit erziehen, sondern an die Stelle von Bildungszielen sind Produktionsziele getreten. Und so, wie das Erreichen der Ziele von Wirtschaftsbetrieben messbar sein muss, muss auch das Erreichen der neuen schulischen Produktionsziele messbar sein.
Die jetzt in der Schule eingesetzten Messsysteme werden als wissenschaftlich objektiv angepriesen. Aus ihnen können die Schulen angeblich ersehen, was sie erreicht und was sie wohl bislang versäumt haben. Messungen dienen vor allem dem Vergleich untereinander und sollen die Akteure in einen permanenten Wettbewerb schicken, mit dem Ziel, immer besser werden zu wollen.
Die OECD, welche der Motor dieser Veränderungen ist, beschreibt die Bildungsziele als global geforderte und verwertbare Kompetenzen der Absolventen der Bildungseinrichtungen auf den Arbeitsmärkten. Über den Schulerfolg entscheiden nicht mehr Wissen und fachliches Können, sondern möglichst breit einsetzbare Kompetenzen. Diese bestehen in der Fähigkeit, lebens- und berufsnahe Aufgaben zu lösen. Das Lösen der Aufgaben erfordert von den zu Bildenden kein Fachwissen sondern sogenannte Kompetenzen. Die Aufgaben selbst sind Formate der Testindustrie.
Die Lehrerinnen und Lehrer geben ihre Zuständigkeit für das Lehren an die Testentwickler ab. Lehren ist nur noch „teaching to the test“. Die meisten Didaktiker folgen aus nahe liegenden Gründen der Richtung der OECD. Die wenigen, die gegen die Verfehlung des Bildungssinns und der Inhalte ihres Faches protestieren, erhalten keine Forschungsaufträge aus öffentlichen Mitteln und bleiben ungehört.
Die Schülerinnen und Schüler trainieren jetzt Fertigkeiten, mit denen sie Aufgaben lösen können. Sie sollen funktionieren ohne zu verstehen und ohne kritische Distanz gegenüber dem, was sie tun. Die einzusetzenden Werkzeuge der Erschließung werden nicht von inhaltlichen Fragen an einen Gegenstand abhängig gemacht. Damit werden die Schülerinnen und Schüler selbst zu Arbeitswerkzeugen und als solche beliebig einsetzbar. Die Schülerinnen und Schüler sollen zu den Inhalten kein eigenes Verhältnis entwickeln; sie sollen sich nur etwas aneignen ohne vertieften Einblick in die Sache. Bildungsziel sind nicht die Methoden, die benötigt werden, um fachliche Grundprinzipien zu verstehen um sie danach bewusst zu beherrschen. Die Schülerinnen und Schüler erwerben stattdessen Universalkompetenzen, die auf beliebige Inhalte anwendbar sind. Lernstoffe werden unwesentlich und verlieren ihren Bildungssinn.
Im Bereich des Mathematikunterrichtes hat die Entsorgung herkömmlicher Unterrichtsgegenstände in einigen Bundesländern inzwischen groteske Ausmaße angenommen. Zum Beispiel ist in einigen Bundesländern die schriftliche Division kein Grundschulthema mehr, aber in der Oberstufe wird Polynomdivision verlangt. Der Logarithmus wurde in einigen Bundesländern entsorgt aber die unbekannten Exponenten gegebener Potenzen müssen später dann doch bestimmt werden. Zahlen werden in einigen Bundesländern nicht mehr in ihre Primfaktoren zerlegt, aber Polynome sollen in ihre Linearfaktoren zerlegt werden.
Wenn die Mittelstufenmathematik im Studium verlangt wird, stürzt sie in sich zusammen. Viele Schülerinnen und Schüler erhalten nicht einmal mehr das Rüstzeug, um sich etwas zu erschließen. Damit scheitern sie dann in ihrem weiteren Bildungsgang. Das Argument, Studentinnen und Studenten seien auch früher schon gescheitert, kann nicht mehr gelten, wenn das Scheitern heute auf das Fehlen von Grundlagen zurückzuführen ist.