Ich hoffe, ich kann dir das hiermit etwas deutlicher machen:
Die vollständige Induktion im Allgemeinen funktioniert wie folgt:
Wir zeigen, dass unsere zu beweisende Aussage für ein beliebig festes \(n\in\mathbb{N}\) wahr ist. (Normalerweise wird das kleinstmögliche \(n\) genommen, für das die Gleichung gilt). Danach zeigen wir, dass die Aussage dann auch für jeden beliebigen, festen Nachfolger \(n+1\) gilt.
Mithilfe der Metapher der Dominosteine kann man sich die Aussagen wie folgt vorstellen:
Nehmen wir an, dass wir die folgende Dominoreihe in Anlehnung an die Ungleichung des Fragestellers gegeben haben: \(D_3,D_4,D_5, D_6, D_7, D_8,\ldots \)
Die vollständige Induktion über \(n=3,4,5,6,7,8,\ldots\) macht folgende Aussagen über die Steine:
- Der kleinstmögliche Stein - also \(D_3\) fällt um (Induktionsanfang)
- Wenn der \(n\)-te Stein umfällt, dann auch der \(n+1\)-te Stein (Induktionsschritt)
Wir wissen wegen (I), dass Stein \(D_3\) umfällt. Weil \(D_3\) umfällt, gibt es ein \(n\), für das ein Stein umfällt. Demnach fällt auch wegen (II) der Nachfolger \((n+1)\) um, d.h. \(D_4\) wird auch umgeworfen. Weil \(D_4\) aber umgeworfen wurde, wird wegen (II) auch \(D_5\) umfallen usw. usf.. Diese Kette kann man unendlich fortführen und die gesamte Dominoreihe wird umfallen, d.h. wir haben die Aussage für alle natürlichen Zahlen \(n\) bewiesen.
Gucken wir uns jetzt dein Beispiel an:
Induktionsanfang (IA): Wählen \(n=3\). Also muss \(8>5\;\checkmark\) gelten, stimmt.
Induktionsvoraussetzung (IV): Es gilt \(2^n>n+2\) für ein beliebig festes \(n\geq 3\) aus den natürlichen Zahlen, was wir in der IA gezeigt haben.
Induktionsbehauptung (IB): Wir behaupten \(2^{n+1}>(n+1)+2\) für alle \(n\geq 3\) mit \(n\in\mathbb{N}\).
Induktionsschritt: Wir beweisen IB wie folgt:
$$\begin{aligned} 2^{n+1} = 2^{n}+2^{n}&\stackrel{IV}{>}n+2 + n+2\\ &= 2n+4\\ &>n+4\\ &>(n+1)+2\quad \checkmark \end{aligned}$$ Damit ist die IB bewiesen und die Ungleichung gilt für alle \(n\geq3,\; n\in\mathbb{N}\)
Wir schätzen \(2n+4>n+4>(n+1)+2\) ab, um auf die gewünschte Form \((n+1)+2\) zu kommen und somit die Ungleichung als wahr zu beweisen.
Es gibt natürlich einen Spielraum bei Abschätzungen: Zum Lösen eines Problems muss es nicht nur eine richtige Abschätzung geben, es können auch andere Abschätzungen zum Ziel führen, z.B.: \(2n+4>n+n>(n+1)+2\).
Jedoch gibt es auch Beispiele, die uns nicht zum richtigen Ergebnis führen: \(2n+4>0\) wäre eine Abschätzung mit der die Ungleichung nicht bewiesen werden könnte.
Falls du einzelne Schritte noch nicht verstehst, sag Bescheid. Ich werde dir das gerne noch erklären!