In einem erfundenen Unterrichtsverlauf lässt Steinbring zunächst einige durch Aufforderungen des Lehrers gegebene Ereignisse von den SuS in Mengenschreibweise darstellen:
a) „Würfle eine 6!”
b) „Würfle eine Zahl kleiner oder gleich 2!”
c) „Würfle eine gerade Zahl!”
d) „Würfle irgendeine Zahl!“
Die Mengenschreibweisen zu diesen Ereignisse werden an die Tafel geschrieben:
a) {6}
b) {1, 2}
c) {2, 4, 6}
d) {1, 2, 3, 4, 5, 6}
Dann sagt der Lehrer: „Es gibt eine Teilmenge, die wir nie schreiben werden. Aber wir wollen sie erwähnen.“
Der fiktive Lehrer will hier auf den Begriff und Darstellung der leeren Menge hinaus, die bereits behandelt wurden und die einige SuS noch kennen. Aus der Klasse kommen Vorschläge, als Antwort auf die Aussage: „Es gibt eine Teilmenge, die wir nie schreiben werden.“ Aber die erwartete leere Menge wird zunächst nicht genannt. Dann nennt ein Schüler die Aufforderung: „Würfle eine Zahl kleiner oder gleich eins!“ Diese Vorlage wird vom Lehrer aufgegriffen und umgewandelt in: Würfle eine Zahl kleiner als eins!“ Sofort protestieren einige SuS: „Das geht nicht!“ Die Reaktion des von Steinbring erfundenen Lehrers ist nun nicht: „Natürlich geht das nicht - aber wie müsste man dieses Ereignis als Menge schreiben?“ Stattdessen erklärt der Lehrer: „Auch das Würfeln einer Zahl kleiner als 1 soll ein mögliches Ereignis sein.“ Und anschließend wartet er auf Vorschläge zu einer Notation dieses Ereignisses, das in der Diktion vieler SuS ‚nicht geht‘ und welches der Lehrer hoheitlich zu einem ‚möglichen Ereignis‘ erklärt hat.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass es Steinbring in dem dargestellten Zusammenhang um den Wissenserwerb von SuS geht. Dabei unterscheidet Steinbring in zutreffender aber noch unvollständiger Weise zwei Wege des Wissenserwerbs:
1. Die Aufnahme fertigen Wissens, zu dem den SuS versichert wird, dass es sich um ein objektives und logisches Faktum handelt.
2. Die selbständige Herstellung von Wissen durch den Lernenden als Deutung von Symbolsystemen und deren Beziehung zum Objekt des Wissens.
Nach der hoheitlichen Erklärung der Existenz eines Ereignisses, das in der Diktion und im Denken der SuS ‚nicht geht‘ ist nun eine dritte Weise des Wissenserwerbs zu ergänzen:
3. Das Wissen über die Existenz von Gegenständen mathematischen Denkens, die sich unserem Verstand nicht erschließen, die wir aber akzeptieren müssen, um weiter mitdenken und mitreden zu können.
Wir können das Wissenserwerb durch Akzeptanz nennen. Wenn es in der Oberstufe um das Differential geht, wird von zahlreichen SuS diese Form des Wissenserwerbs erneut gefordert. Möglicherweise ist auch schon der Begriff des Negativfachen mit einem solchen Wissenserwerb verbunden. In der Geschichte der Mathematik hat es immer wieder Situationen gegeben, in der man sich lange Zeit gegen gewisse Zahlbereichserweiterungen stellte und erst nach ihrer Akzeptanz neue mathematische Lösungen möglich wurden.
Diese dritte Art des Wissenserwerbs findet bei Steinbring keine Erwähnung und seine Aufforderung an die SuS, den als inakzeptabel empfundenen Sachverhalt mathematisch zu formulieren, kann von einigen SuS nicht geleistet werden. Steinbring sieht sein Lernziel
‚Das unmögliche Ereignis entspricht der leeren Menge.‘
als erreicht an. Wie kann das sein, wenn das Unterrichtsziel einen von SuS nicht akzeptierten Terminus ‚Das unmögliche Ereignis‘ enthält? Die Annäherung an diesen Begriff über Schülervorschläge macht insofern Sinn, als die SuS auf der Suche nach Vorschlägen tief in den Bedeutungsgehalt des neuen Begriffes eindringen. Leider wird es SuS geben, die schon die hoheitliche Vorgabe: „Auch das Würfeln einer Zahl kleiner als 1 soll ein mögliches Ereignis sein.“ nicht akzeptieren konnten. Für diese wäre es ehrlicher gewesen, den Terminus ‚Das unmögliche Ereignis‘ über die Aufforderung: „Würfle eine Zahl kleiner als eins!“ einzuführen - also die dritte Art des Wissenserwerbs in die Betrachtungen einzubeziehen. Und das Lernziel hätte dann heißen müssen:
Die SuS sollen das Wissen über das ‚Das unmögliche Ereignis‘ und seine mathematische Beschreibung in ihr Denken einbeziehen.