Am 07.10.2019 hatte Kai unter der Überschrift „Die Zukunft des Lernens: Selbstorganisierter Kompetenzerwerb“ ein Skript von Professor Dr. Werner Sauter in Auszügen vorgestellt und auch einen Link zum vollen Text angegeben. Nach Lektüre des ganzen Textes ist folgendes festzustellen:
(Textpassagen aus der Schrift von Professor Sauter wurden durch Anmerkungen zu Unterschieden ergänzt.)
Professor Sauter betrachtet das Lernen im Rahmen beruflicher Bildung. Das berufsbezogene Lernen und das schulische Lernen weisen durchaus einige Gemeinsamkeiten auf: Es geht in beiden Fällen um selbstorganisierten Kompetenzaufbau. Der Computer fungiert dabei immer mehr als digitaler Lernpartner, der die Lernprozesse unterstützt, indem er Instrumente für die selbstorganisierte Lernplanung, viele Lerninhalte und Lernprogramme, vielfältige Instrumente zur Kommunikation und Kollaboration im Netz sowie Feedbacksysteme zur selbstgesteuerten Kontrolle der Lernerfolge zur Verfügung stellt.
Aber es gibt auch deutliche Unterschiede zwischen schulischem und beruflichem Lernen. Das gilt ganz besonders für schulisches mathematisches Lernen.
Während im Rahmen beruflichen Lernens vor Beginn einer Entwicklungsmaßnahme die Kompetenzen der Lernenden aufgrund einer Selbsteinschätzung und von Fremdeinschätzungen, z.B. durch Kollegen und der Führungskraft, gemessen werden, übernehmen im schulischen Lernen Schüler*innen oder Lehrer*innen die Selbst- oder die Fremdeinschätzungen. In einem Beratungsgespräch mit dem Lernbegleiter (Lehr- bzw. Führungskraft) werden auf Basis der identifizierten Kompetenzentwicklungsmöglichkeiten geeignete Herausforderungen im Lern- bzw. Arbeitsprozess identifiziert. Diese werden im Rahmen beruflichen Lernens Gegenstand eines Entwicklungsgespräches des Mitarbeiters mit seiner Führungskraft. Die Lernenden finden sich zu Beginn einer beruflich orientierten Entwicklungsmaßnahme mit dem Lernbegleiter in einem offenen Kommunikationsbereich zusammen. Sie stellen ihre Praxisprojekte vor, bilden Lernpartnerschaften und Communities of Practice und treffen verbindliche Vereinbarungen für die erste Selbstlernphase. Den „roten Faden“ der personalisierten Lernprozesse bilden jeweils die vereinbarten Herausforderungen in der Praxis.
Im schulischen Lernen geht es an Stelle von Entwicklungsmaßnahmen um Fragestellungen, die nicht nur aus der Alltags- oder Berufspraxis erwachsen, sondern auch fachspezifische, abstrakte Inhalte betreffen können. Im schulischen Lernen gibt es individuelle Entwicklungs-gespräche nur selten. Stattdessen wird im Klassenverband das Werkzeug zu einer Problemlösung erarbeitet. Den „roten Faden“ der schulischen Lernprozesse bilden die Rahmenrichtlinien der Bildungsbehörden. Die Reihenfolge der angestrebten Lerninhalte ist im schulischen Lernen von großer Bedeutung und strebt altersspezifische, lernpsychologisch orientierte Vermittlung von Lerninhalten an, die sich im Bereich Mathematik auch an der historischen Entwicklung orientieren.
Während man im beruflichen Bereich von einer sinkenden Halbwertzeit des Wissens spricht, welche die Art zu kommunizieren und damit auch die Art zu lernen ständig verändert, gibt es zum Bespiel in der schulmathematischen Bildung keine Halbwertzeit mathematischen Wissens. Alles, was je als gesichertes mathematisches Wissen gewonnen wurde, bleibt über Jahrtausende erhalten.
Die Ziele des Kompetenzaufbaus werden Im Rahmen beruflichen Lernens durch die Lernenden meistens selbst formuliert. Das wäre im schulischen Lernen der Idealfall. Im Mathematikunterricht müsste die Lehrperson Gelegenheiten zu eigenem Entdecken schaffen um Fragen von Schüler*innen anzuregen.
Kompetenz wird sowohl bei schulischem als auch bei beruflichem Lernen als Fähigkeit verstanden, in offenen, nicht immer überschaubaren, komplexen, dynamischen Situationen selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Dieser Kompetenzbegriff orientiert sich im Rahmen beruflichen Lernens an realen Problemstellungen, wie sie uns täglich im Alltag oder im Betrieb begegnen. Das schulische Lernen kennt neben realen Problemstellungen (insbesondere in der Mathematik) auch abstrakte Problemstellungen.
Kompetenzen sind in der beruflichen Bildung all jene Fähigkeiten, die dazu beitragen, unsere Aufgaben im Privatleben und im Beruf erfolgreich zu bewältigen. Schulische (insbesondere mathematische) Aufgaben müssen nicht ausnahmslos dem Privatleben oder dem Beruf zugeordnet sein.
Wissen und Kompetenz werden im alltäglichen Sprachgebrauch oftmals gleichbedeutend verwendet. Wissen ist jedoch nicht das wirkliche Ziel des Lernens. Es bildet lediglich die notwendige Voraussetzung für den Kompetenzaufbau. Denn Kompetenzen entstehen, wenn der Ler-nende vorhandenes Wissen bei der selbstorganisierten Lösung von Herausforderungen praktisch (berufliches oder schulisches Wissen) oder theoretisch (schulisches Wissen) angewandt hat. Dabei sammelt er Erfahrungen und imprägniert sein Wissen emotional – es erhält sozusagen praktische Relevanz. Mathematisches Wissen muss nicht von Anfang an praktische Relevanz haben. Häufig in der Geschichte der Mathematik wurde die praktische Relevanz deutlich später erkannt als die Feststellung neuer Wissensinhalte.
Die Globalisierung ebenso wie die damit verbundenen Migrationsbewegungen stellen uns und damit auch unsere Bildungssysteme vor neue Herausforderungen. So benötigen unsere ausländischen Mitbürger ebenso wie wir selbst interkulturelle Kompetenzen, um in den vielfältigen Lebenswelten, die uns zukünftig umgeben werden, sicher zu bewegen. Verallgemeinernd kann unter interkultureller Kompetenz die Befähigung verstanden werden, aufgeschlossen gegenüber Neuem, bisher Unbekanntem, insbesondere gegenüber fremden Kulturen zu sein, sich auf neue Menschen und Situationen einstellen zu können und dabei persönlich hinzuzulernen. Dazu gehört, in interkulturell geprägten Situationen mit Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen und in fremdkultureller Umgebung zu kommunizieren, um effektiv und professionell tätig werden zu können. Interkulturelle Kompetenzen können aber nicht durch Bücher oder Seminare mit Rollenspielen „vermittelt“ werden. Vielmehr ist ein Lernarrangement erforderlich, das auf realen, interkulturellen Herausforderungen basiert, die gemeinsam im Dialog mit Mitgliedern der anderen Kulturen bearbeitet und bewältigt werden. Diese Zusammenhänge spielen im Rahmen schulischen Lernen ganz sicher eine ebenso bedeutende Rolle, wie im beruflichen Lernen. Mathematisches Wissen ist allerdings a priori interkulturell.
Die Digitalisierung ist einer der wichtigsten Antreiber für zukünftige Veränderungen. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind weitreichend: So verändern sich z. B. durch neue Geschäftsmodelle die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Menschen. Manche Aufgaben fallen weg, andere kommen hinzu. Gerade für neue Aufgaben sind Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien notwendig. Auch im schulischen und insbesondere im mathematischen Lernen fallen Aufgaben weg und andere kommen hinzu. Die Erstellung neuer Konzepte hat allerdings im schulischen und insbesondere im mathematischen Lernen nicht annähernd mit der Entwicklung schrittgehalten.
In Zukunft benötigen wir die Kompetenz, uns in einer vernetzten Lebens- und Arbeitswelt zu bewegen, deren konkrete Form wir in der Arbeitswelt heute noch nicht kennen. In der Schulmathematik lässt sich bereits genau erkennen, wohin die digitale Reise geht. Sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Schule müssen wir lernen, mit den neuen Risiken der digitalen Welt umzugehen. Daher gilt es, neue Technologien auch im Rahmen von Lernangeboten aufzugreifen und als unterstützende Elemente des Lernens sinnvoll in diese einzubauen. Die Digitalisierung und die damit einhergehenden agilen Arbeits- und Lernmethoden stellen dabei immer höhere Anforderungen an die Selbstorganisationskompetenzen der Mitarbeiter*inne ebenso wie der Schüler*innen. Da diese zumeist jedoch in Arbeits- und Lernsystemen sozialisiert wurden, die durch Fremdsteuerung geprägt sind, benötigen sie zunehmend Handlungsanker, also Werte, die ihnen Orientierung für ihr Handeln geben .
Mitarbeiter*inne ebenso wie der Schüler*innen benötigen daher Kompetenzen zum autonomen Handeln bei hoher Entscheidungsfreiheit zur kollaborativen Lösung von Herausforderungen, also der gemeinsamen Bewältigung realer Problemstellungen mit Lernpartnern – auch im Netz – sowie für selbstorganisiertes und zielführendes Handeln mit digitalen Technologien. Die Bearbeitung einer mathematische Fragestellung kann auch im stillen Kämmerlein stattfinden. Oft ist Abgeschiedenheit sogar günstig für ein kreatives Denkergebnis.