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Ich wurde über Linkedin gefragt, ob ich ein wenig über die letzten 10 Jahre E-Learning berichten und meine Erfahrungen teilen könnte. Vielleicht ist es für den ein oder anderen interessant, daher poste ich die Fragen und Antworten des Interviews hier:


1. Was hat dich bewegt in den Bereich der Bildung zu gehen?

Es ist ein besonderes Gefühl der Freude, eine Erkenntnis zu erlangen und einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen. Insbesondere, wenn dieser vorher komplett unverständlich erschien. In der Mathematik hat man viele Chancen, solche Erkenntnisse zu erlangen, sofern man sich mit einem Thema ausführlich beschäftigt oder eine sehr gute Aufbereitung findet.

Anderen zu helfen, Wissen zu übertragen und positive Gefühle in anderen Menschen zu schaffen, ist für mich ein großer Antrieb.

Die Mathematik hatte ich vorrangig gewählt, da sie eine exakte Wissenschaft ist und damit weitestgehend unveränderlich - im Gegensatz zu den weichen Wissenschaften wie Recht und Literatur. Das heißt, das präsentierte Wissen wird in 100 Jahren immer noch aktuell sein.

Ich hatte übrigens gute Voraussetzungen, in den Bereich der Online-Bildung zu gehen, da ich ein Bachelor- und Master-Studium der Medieninformatik absolvierte. Zudem hat mich das unglaubliche Potenzial des Internets fasziniert und dazu bewegt, Videos zu erstellen, um Wissen festzuhalten und einer Großzahl an Menschen zur Verfügung zu stellen.


2. Nach 10 Jahren, was würdest du als deinen größten Erfolg bezeichnen bzw. auf was bist du stolz?

Ich habe jedes Jahr das Gefühl gehabt, dass ich am Anfang stehe. Alles begann mit den Mathematik-Videos auf dem YouTube-Kanal „kaikajus" (Dez. 2008) und einem Lernblog. Später wurde dies zu „Echt Einfach TV" und daraus ist schließlich die heutige Lernplattform „Matheretter" entstanden.

Zusätzlich wurde 2012 die Mathelounge gegründet, um die Masse an Fragen, die per E-Mail eingingen, aufzufangen. Die Mathelounge ist ein Frage-Antwort-Forum, das mittlerweile 20.000 Mitglieder und bis zu 1 Mio Besucher monatlich zählt. Wiederum daraus entstanden im Jahr 2018 die Communities Nanolounge (Physik), Chemielounge (Chemie) und Stacklounge (Informatik). Alle behandeln übrigens exakte Wissenschaften.

Dass aus einer kleinen Idee so viel Neues entstehen kann und nunmehr Millionen Menschen hilft, darüber freue ich mich sehr!

Zudem bin ich stolz auf die aktuelle Auszeichnung der TestBILD, die Matheretter wertet mit „Höchste Weiterempfehlung" im Bereich E-Learning Mathematik 2018/2019.


3. Es gibt viele Artikel, die die Effektivität von Online-Kursen in Frage stellen. Auf der anderen Seite ist die Skalierbarkeit, sprich sehr vielen Leuten eine Chance zu bieten, faszinierend. Wie siehst du das Thema E-Learning und dessen Effektivität aus deiner Erfahrung?

Tatsächlich finden sich diverse Studien darüber, dass die wesentliche Grundlage für ein erfolgreiches Lernen die Einstellung des Lernenden selbst ist. Besteht kein Interesse beim Lernenden, so kann das Medium noch so herausragend sein, es wird ihm nicht helfen können.

Die Frage zum „Warum brauche ich das?" muss grundsätzlich für jedes einzelne Thema geklärt sein. Es bedarf Anwendungsfällen, deren Sinnhaftigkeit einleuchtet. Im besten Fall wird der Schüler in die Lage versetzt, das Wissen in der Zukunft selbst anzuwenden. Dies ist der einfachste Weg, bei der Mehrzahl der Schüler Interesse zu wecken. Die Schüler, die bereits allein an dem „System Mathematik" gefallen finden und sogar deren „Schönheit" erkennen, benötigen dies im Übrigen nicht.

Weiterhin ist wesentlich, dass das Lehrmedium (der Online-Kurs) das Wissen so reibungslos wie möglich vermittelt, sodass hier keine unnötigen Barrieren entstehen. Ich behaupte zum Beispiel, dass audiovisuelle Lerner mit der Lernplattform Matheretter reibungslos lernen können und Verständnis geschaffen wird, das auch langfristig im Gedächtnis bleibt. Wesentlich sind neben den Videos auch die Lernchecks, die neues Wissen testen und auf diese Weise festigen. Die Komplettlösungen helfen zusätzlich zu erkennen, wo es hakt.

Und ja, mit einem „Medium" (Video, Grafik, Text etc.) lassen sich theoretisch Millionen von Menschen erreichen. Diesbezüglich kann man von Skalierbarkeit sprechen. Die Effektivität des Lernens selbst ist jedoch nicht skalierbar.


4. Wo siehst du die größten Chance in Zukunft im Bereich E-learning? Was sollte sich ändern?

Ich glaube, wir bewegen uns in die richtige Richtung. Die Online-Education tritt immer mehr ins Interesse der Öffentlichkeit und wird mehr und mehr genutzt. Auch moderne Lehrer/Schulen stoßen immer weniger auf Barrieren, wobei jedoch die Anbindung deutscher Schulen ans Internet angesprochen werden sollte, die teilweise tragisch ist. Statt vor einigen Jahren in Whiteboards zu investieren, hätte man den Fokus lieber sofort auf die Internet-Anbindung in den Schulen legen sollen. Das ist absolut essentiell.

Derzeit werden besonders YouTube-Videos in den News gepusht. Hier sollte man jedoch auf eine gewisse Qualitätssicherung achten. Die beliebtesten Videos auf YouTube sind nicht die besten zum Lernen, sondern die unterhaltsamsten.

Chancen bietet vor allem der Zuwachs an Material zum Lernen. Seien es Videos, Audio, Grafiken, Animationen oder Texte. Auch gibt es online immer mehr geniale Tools, mit denen sich Mathe „machen" lässt.


5. Allgemein, wo siehst du die größte Chance für Chancengleichheit im Bereich Bildung?

Ich bin mir sicher, dass wir in einer Zeit leben, die es so noch nie gab. In einer Zeit, die unglaublich ist bezogen auf den Zugang zu Wissen. Wenn man sich heutzutage für ein Thema interessiert, hat man die Möglichkeit, dieses zu erlernen. Ich bin mir auch sicher, dass man kein Unistudium mehr benötigt, um Experte in einem Gebiet zu werden. Ich weiß, dass diese Aussage waghalsig ist.

Beispielsweise kenne ich einen jungen Mann (18 Jahre), der mit 12 Jahren *ein* Programmierbuch in die Hände bekam. Nachdem er das Konzept verstanden hatte, brachte er sich mehrere Programmiersprachen selbst bei, programmierte sein eigenes Strategie-Multiplayer-Spiel und arbeitet jetzt für eine Schweizer Immobilienfirma und schreibt deren Server-Software neu. Er hat nicht einen Tag an der Universität verbracht und nicht eine Stunde „Programmieren" in der Schule gehabt. Sein Interesse war so groß, dass er die Materie mit großen Schritten erkundet und erlernt hat. Nun studiert er Mikrobiologie. Programmieren zu lernen, sagte er, wäre für ihn jetzt zu langweilig.

Es spielt heutzutage also kaum eine Rolle, aus welchen sozialen Schichten eine Person kommt. Jeder hat eine Chance, etwas zu erreichen, indem er sich selbst ausbildet.


6. Wenn du heute neu Gründen würdest, wäre dies wieder im Bereich Bildung? Falls ja, was?

Ja, Bildung ist meine Leidenschaft. Es wäre wieder Mathematik. Ich mag es nicht, wenn ich etwas erkläre und diese Erklärung in ein paar Jahren obsolet ist. Dies wäre zum Beispiel bei Videos zu einer marktüblichen Software der Fall. Dieses Wissen würde in nur wenigen Jahren veraltet sein. Die Funktionsweise einer Turing-Maschine zu erklären, wäre hingegen etwas, was sich lohnen würde.


7. Welche Unternehmen findest du im EdTech am spannendsten?

Im Jahr 2018 sind mir Mathcha.io und Mathigon.org ins Auge gefallen. Beide haben mir sehr gefallen. Es sollte erwähnt werden, dass beide Projekte von Einzelkämpfern (aus Vietnam bzw. Deutschland) entwickelt worden sind. Eine großartige Leistung!


8. Welche andere Personen sollte ich ansprechen, die sich mit E-Learning auskennen?

LinkedIn sollte hier weiterhelfen. Auch sind die Rednerlisten von Education-Konferenzen sehr aufschlussreich, welche Personen in welchen Bereichen unterwegs sind. Eine interessante E-Mail mit einer guten Frage wird sicher beantwortet.


9. Falls ich irgendwas machen kann, um mich bei dir zu bedanken, bitte gib mir bescheid!

Promote die Loungeseiten :) Wir freuen uns über jeden klugen Kopf, der dazu kommt und sein Wissen teilt.

geschlossen: Interview
von Kai
Avatar von 1,7 k

Hoffentlich lernen die Fragesteller in der Mathelounge etwas. Es ist allerdings zu vermuten, dass einige nichts oder nicht viel lernen. Ganze Kaskaden von Aufgaben nahezu identischen Typs (immer wieder von gleichen FS) lassen darauf schließen. Das ganze dann als E-Learning zu deklarieren, halte ich für etwas übertriegen.

Wie stellst du dich zu den Argumenten im folgenden Artikel? https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Schaden-Schulen-Kindern-mit-neuen-Medien--18717089

@TR: Das Thema ist für dieses Forum zu umfangreich, um es angemessen zu diskutieren. Nur kurz so viel: Das kindliche Alter sollte beim Einstieg in die Nutzung digitaler Medien eine bedeutende Rolle spielen. Je älter, deto besser. Schulen haben vor allem die Aufgabe Sinn und Unsinn solcher Nutzung zu vermitteln. Online nutzbare Geräte sollten in der Schule nur im Ausnahmefalle zur Verfügung stehen. Ein Handyverbot in Schulen würde dem entsprechen. Außerdem sollte der altmodiche direkte Kontakt zwischen Menschen wieder propagiert werden.

Wichtiger als die starke Betonung der Alternative "digital oder analog" wäre die Klärung der Alternative "sinnvoll oder sinnlos".

Ich persönlich habe Schüler in CAS Klassen, die mit einem Computer-Algebra-System arbeiten dürfen.

Das hauptsächliche Problem das ich darin sehe ist das Schülern viel weniger Wissen vermittelt wird.

Wer die Gleichung 11*x = 2.31 lösen will tippt die in das CAS ein und erhält eine Antwort OHNE Rechenweg.

Wenn man zusammen beim Bruch sitzt und fragt was die leckeren Brötchen gekostet haben und die Antwort bekommt ich habe für 11 Brötchen 2.31€ gezahlt, kann ohne ein CAS meist nicht mehr rechnen. Das dann einfach nur 2.31/11 = 0.21 € gerechnet werden muss wissen die wenigsten :(

Ich empfehle bisher den Schülern möglichst auf CAS Geräte zu verzichten. Soviel wie möglich im Kopf zu machen und wenn es notwendig ist einen ganz normalen Taschenrechner zu benutzen. Hat man Schwierigkeiten eine Gleichung zu lösen kann man eine App, die einen Lösungsweg anzeigt gerne zuhilfe nehmen. Der Lösungsweg ist dann aber trotzdem zu notieren und nicht einfach nur das Ergebnis hinzuschreiben.

Fazit von mir: Ich halte den Einsatz von CAS Geräten momentan eher für Kontraproduktiv.

Grundsätzlich stehe ich aber modernen Medien offen gegenüber. Es sollte der Umgang mit Computern geschult werden. Das fängt schon an, dass nur wenige Schüler in der Lage sind im Abitur eine Präsentation mit einem Präsentationsprogramm zu erstellen.

Die Lehrer sollten meiner Meinung auch mehr nach dem Prinzip des flippt Classrooms unterrichten. D.h. nicht die Stunden damit verbraten Grundlagen immer wieder zu erklären und die Schüler bei den Übungsaufgaben zu Hause allein zu lassen. Die Grundlagen stehen alle in einem Schulbuch. Man kann also ohne Probleme die Hausaufgabe geben die Grundlagen durchzulesen. Dann können in der Stunde direkt fragen geklärt werden und dann kann bei Übungsaufgaben unterstützend geleitet werden. Weiterhin lehrt man dabei dann auch noch das Textverständnis. Schüler müssen lernen sinnerfassend zu lesen, gerade im mathematischen Bereich.

@Mathecoach: Alles, was du schreibst, entspricht meinen Überlegungen und Erfahrungen. Vielleicht gefällt dir dazu mein Buch: "Mathematikdidaltik , ein Feld der Unordnung?" im GRIN-Verlag.

Spannende Diskussion. Danke für eure Antworten und Argumente.

Kann sein, dass man nur von teuren Privatschulen den bewussten Umgang mit Hilfsmitteln erwartet. Lehrpersonen von öffentlichen Schulen sollten auch so weit geschult sein, dass sie selbst entscheiden können, wann elektronische Hilfsmittel tatsächlich Vorteile haben.

Mathelounge kann schon mal passen, wenn man gerade niemanden fragen kann. Die Auseinandersetzung mit der Theorie und zugehörigen Aufgaben sollte eigentlich Hand in Hand gehen, damit man überhaupt lernt.

Ich weiss nicht genau, ob und wie systematisch Mathelounge auch nur gelesen wird, d.h. ob es hier User gibt, die mit der Suche nach ähnlichen Aufgaben, ihren Stoff vertiefen. Selten reagieren neue User auf eine uralte Antwort und entdecken dort auch Druckfehler. Bei Schulbüchern werden die Druckfehler vermutlich rascher entdeckt und sind meist in der zweiten / dritten Auflage schon korrigiert.

Bei den Fragen sehen wir vielleicht nur Spuren von Aktivitäten von einem kleinen Teil der Besucher der Mathelounge.

Bei Schulbüchern werden die Druckfehler vermutlich rascher entdeckt und sind meist in der zweiten / dritten Auflage schon korrigiert.

Ich habe mir mal die Mühe gemacht in einem Schulbuch sämtliche Fehler zu notieren und aufzuschreiben. Natürlich haben wir nicht alle Aufgaben bearbeitet aber uns waren bei denen die wir bearbeitet haben etwa 10 Fehler aufgefallen.

Ich habe dann mal mit dem Verlag telefoniert. Etliche Fehler waren auch schon bekannt einige noch nicht. Das Problem laut dem Verlag ist das sämtliche Verlage dank der ganzen Schulreformen immer wieder die Bücher anpassen müssen.

Für Hamburg gibt es immer noch kein Buch welches zum hier verabschiedeten Lernstoff passt.

Sowas kann eigentlich überhaupt nicht sein. Man sollte den Lernstoff Bundesweit vereinheitlichen sodass auch problemlos Schüler von Hamburg nach Bayern ziehen können und umgekehrt.

Naja. Auf jedenfall haben die Verlage selten genug Zeit die ganzen Aufgaben nochmals zu prüfen, sodass es leider oft vorkommt, das sich Fehler einschleichen. Das natürlich aber nur bei neuen oder abgeänderten Aufgaben. Alte übernommene Aufgaben sind weitgehend fehlerfrei.

Auf jeden Fall gibt es momentan bei den Schulbüchern kaum eine zweite, geschweige denn eine dritte Auflage.

Aber es wäre toll wenn die Bücher zumindest eine Obermenge des Schulstoffes abbilden würden. Dann müssten die Bücher auch nicht so oft angepasst werden.

Bei meinem Lieblingsmathebuch von Bigalke/Köhler sind in der neusten Ausgabe leider viele Themen weggefallen. Daher benutze ich immer noch eine ältere Ausgabe in der diese Themengebiete noch mit drin sind. Aber ich benutze auch meist immer 3 Bücher parallel, weil ich spezielle schöne Aufgaben immer meist nur in einem Buch finde und in den anderen nicht.

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