Aloha :)
Hast du eine integrierbare Funktion \(f(x)\), so kannst du dazu eine Stammfunktion \(F(x)\) bestimmen:
$$F(x)=\int f(x)\,dx$$Diese Schreibweise ist sehr unglücklich gewählt. Links ist \(x\) ein konkreter Wert, rechts ist \(x\) eine Integrationsvariable. Streng genommen, müsste man rechts für die Integrationsvariable eine andere Bezeichnung wählen, z.B. \(t\). Nun muss man sich nämlich klar machen, an welcher Stelle auf der rechten Seite denn das linke \(x\) tatsächlich auftaucht. Es ist die obere Grenze des Integrals:$$F(x)=\int\limits^xf(t)\,dt$$Und was ist mit der unteren Grenze? Die untere Grenze ist völlig beliebig. Das machen wir uns durch folgende Betrachtung klar:$$I=\int\limits_{\text{hier}}^{\text{dort}}f(x)\,dx=\!\!\!\!\int\limits_{\text{hier}}^{\text{irgendwo}}\!\!\!\!f(x)\,dx+\!\!\!\!\int\limits_{\text{irgendwo}}^{\text{dort}}\!\!\!\!f(x)\,dx=-\!\!\!\!\int\limits_{\text{irgendwo}}^{\text{hier}}\!\!\!\!f(x)\,dx+\!\!\!\!\int\limits_{\text{irgendwo}}^{\text{dort}}\!\!\!\!f(x)\,dx$$$$\phantom{I}=-\left(\,F(\text{hier})-F(\text{irgendwo})\,\right)+\left(\,F(\text{dort})-F(\text{irgendwo})\,\right)$$$$\phantom{I}=F(\text{dort})-F(\text{hier})$$Ein Integral wird immer über ein Intervall von "hier" nach "dort" gebildet und kann mittels der Differenz der Werte einer Stammfunktion bestimmt werden.
Man berechnet beim unbestimmten Integral also den oben genannten Audruck und lässt die untere Grenze bewusst offen, indem man eine Integrations-Konstante zulässt:
$$\int\limits_{\text{irgendwo}}^x\!\!\!\!f(t)\,dt=F(x)-\,\underbrace{F(\text{irgendwo})}_{=\text{const}}\quad\implies\quad F(x)=\!\!\!\!\int\limits_{\text{irgendwo}}^x\!\!\!\!f(t)\,dt+\text{const}$$Je nach Wahl des "irgendwo" gibt es eine andere Integrations-Konstante. Ihr Wert ist letztendlich egal, weil sie bei der Differenzbildung rausfällt.
Du kannst das z.B. mit einem Stausee voll Wasser vergleichen. Die Stammfunktion ist die Wassermenge. Wenn du nun Wasser dazulaufen lässt und das Integral über die Zeit bestimmst, bekommst du die zusätzlich eingefüllte Wassermenge als Differenz der Wassermenge nachher und der Wassermenge vorher. Es ist völlig egal, wie tief der See ist und wie viel Wasser vor dem Vorgang schon drin war.
Der Sinn des unbestimmten Integrals ist also letztendlich, dass du keinen Referenzpunkt festlegen musst. Das taucht in der Physik ständig auf. Wir kennen z.B. nicht die Gesamtmenge der Energie im Universum. Wir kennen nicht die Gesamtmasse im Universum. Wir wissen, dass Photonen nie alleine auftreten, aber nicht, wie viel mindestens zusammen auftreten müssen, damit sie gemessen werden können... Zur Beschreibung der physikalischen Phänomene reicht allerdings immer die Differenz zwischen "jetzt" und "später" oder zwischen "hier" und "dort".