Elisha Scott Loomis (1852 – 1940) verfasste das Buch "Der pythagoreische Satz", in dem er 344 Beweise sammelte, klassifizierte und diskutierte. Das Buch ist immer noch ein Nachschlagewerk. In den Jahren nach 1940 sind etwa 100 Beweise hinzugekommen.
Im Jahre 2020 nahmen die US-amerikanischen Schülerinnen Nekyia Jackson und Calcea Johnson an einem Mathematik-Wettbewerb teil. Sie stellten sich der Aufgabe, einen Pythagoras-Beweis zu finden, der sich noch nicht unter den über 400 bekannten Beweisen befindet. Im Rahmen ihrer ersten Überlegungen stießen sie auf eben diesen Elisha Scott Loomis, der geschrieben hatte:
There are no trigonometric proofs [of the Pythagorean theorem], because all of the fundamental formulae of trigonometry are themselves based upon the truth of the Pythagorean theorem; because of this theorem we say sin2(α) + cos2(α) = 1 etc.
Das brachte die beiden jungen Damen auf die Idee, nach einem trigonometrischen Beweis zu suchen, dessen Existenz der Mathematiker und Pädagoge Dr. Jason Zimba inzwischen bewiesen hatte. Zimbas Beweis sei hier kurz skizziert.
Zunächst fordert Zimba für Winkel x bzw. y, dass 0<y<x<π/2. Dann gilt auch 0<x-y<π/2. Denn x und y sind die beiden Basiswinkel in einem rechtwinkligen Dreieck und müssen 0<y<x<π/2 erfüllen. Auf die allgemeingültige Gleichung
(*) cos(y)=cos(x-(x-y))
wendet Zimba zuerst eines und dann beide folgenden Theoreme an:
cos(α+β)=cos(α)cos(β)+sin(α)sin(β)
sin(α-β)=sin(α)cos(β) – cos(α)sin(β).
(Es ist möglich diese Theoreme frei von jedem Rückgriff auf den Satz von Pythagoras herzuleiten). Dann ist nach Anwendung des Theorems (1):
cos(x-(x-y))=cos(x)cos(x-y)+sin(x)sin(x-y)
und bei anschließender Anwendung beider Theoreme erhält man:
cos(x-(x-y))
=cos(x)(cos(x(cos(y)+sin(x)sin(y))+sin(x)(sin(x)cos(y) – cos(x)sin(y)).
Das Einsetzen in (*), Auflösen der Klammern und anschließendes Zusammenfassen ergibt dann:
(**) cos(y)=cos2(x)cos(y)+sin2(x)cos(y)
und daher
1=cos2(x)+sin2(x).
Als fünf neue Beweise der Schülerinnen Nekyia Jackson und Calcea Johnson in der Zeitschrift ‚The American Mathematical Monthly‘ veröffentlicht wurden, erweckten sie weltweit das Interesse der Medien. Dort wurden die Beweise als als Sensation gefeiert, was sie natürlich nach Zibas Beweis nicht wirklich sind. Die tatsächliche Leistung der Schülerinnen besteht erstens in der Originalität ihrer Beweisideen (siehe unten) und zweitens in einer von ihnen formulierten Anweisung zum Auffinden derartiger Pythagoras-Beweise mit Rückgriff auf elementare Trigonometrie. Ihre Anweisung lautet sinngemäß so:
Seitenlängen und Winkelgrößen eines ersten rechtwinkligen Dreiecks werden in Form von Parametern als gegeben betrachtet. Mit Hilfe von Sätzen und Definitionen der elementaren Mathematik einschließlich der Mittelstufen-Definitionen und -Sätzen von Sinus, Kosinus und Tangens werden die gegebenen Größen sowohl untereinander als auch zu weiteren Stücken im Dreieck in Beziehung gesetzt. Es ist zielführend, dabei weitere rechtwinklige Dreiecke auf der Basis des vorgegebenen zu konstruieren. Auf diese Weise wird ein System von Gleichungen gefunden, dass mit mathematischen Methoden zu einer Gleichung verarbeitet wird, welche nur noch die Seitenlängen des rechtwinkligen Dreiecks enthält (im Beispiel unten die Gleichung (5)). Dann ist der Beweis nach einigen äquivalenten Umformungen dieser letzten Gleichung erbracht.
Um diese Anleitung verständlicher zu machen, folgt ein Beispiel, das nicht in dem unter [2] genannten Protokoll zu finden ist aber die dort gegebene Anleitung befolgt:
Seien a und b die Kathetenlängen eines rechtwinkligen Dreiecks ABC mit der Hypotenusenlänge c und dem Inkreisradius r. α sei der Innenwinkel des Dreiecks ABC gegenüber der Seite mit der Länge a. (Die Bezeichnungen für geometrische Objekte bezeichnen gleichzeitig ihre Maßzahlen.) Weil der Mittelpunkt des Inkreises auf jeder Winkelhalbierenden des Dreiecks im Abstand r von den Katheten liegt, gilt
tan(\( \frac{α}{2} \) )=\( \frac{r}{b-r} \) .
Für den Radius des Inkreises findet man eine Formel in der Formelsammlung, die man sich auch leicht selbst herleitet:
(2) r=\( \frac{ab}{a+b+c} \) .
Das Einsetzen von (2) in (1) führt nach Vereinfachung zu
tan(\( \frac{α}{2} \) )=\( \frac{a}{b+c} \) .
Nun verwendet man für tan(\( \frac{α}{2} \) +\( \frac{α}{2} \) ) das geeignete Additionstheorem an, setzt Formel (3) ein und vergleicht mit
(4) tan(α)=\( \frac{a}{b} \) .
Man erhält
(5) \( \frac{\frac{2a}{b+c}}{1-(\frac{a}{b+c})^2} \)
a, b und c sind Streckenlängen und folglich positiv. Nach einigen äquivalenten Umformungen von Gleichung (5) erhält man
c2=a2+b2.
Zum Schluss werde – wie versprochen – noch einer der fünf Beweise der Schülerinnen angefügt. Es ist möglicherweise der schönste ihrer fünf Beweise:
Gegeben ist das rechtwinklige Dreieck ABC. Dieses werde an AC gespiegelt, sodass B‘ das Bild von B ist. Das Lot auf AB‘ in B‘ schneidet AB in D und das Lot auf AB‘ in B‘ schneidet das Lot in B auf BC im Punkt E (siehe Abbildung).
Im Dreieck B’DB liegen zwei Folgen von ähnlichen Dreiecken, von denen eine Folge von Dreiecken ihre Hypotenusen auf AB haben. Wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke sind die Hypotenusenlängen auf BD ab |\( \overline{BF} \) | bis zum Punkt D eine unendliche, geometrische Folge von Längen mit dem konstanten Faktor \( \frac{a^2}{b^2} \) und dem Startglied \( \frac{2a^2c}{b^2} \) .
Die Hypotenuse \( \overline{a} \) hat dann die Länge \( \overline{AB} \) +\( \overline{BF} \) +\( \overline{FG} \) +\( \overline{GH} \) +⋯. Also\( \overline{AD} \) =c+(2ca^2)/b^2 +(2ca^4)/b^4 +(2ca^6)/b^6 +⋯ und nach Ausklammern von c \( \overline{AD} \) =c·(1+(2a^2)/b^2 +(2a^4)/b^4 +(2a^6)/b^6 +⋯). Darin steckt hinter dem ersten Pluszeichen in der Klammer eine geometrische Folge mit der Summe (2∙a^2/b^2 )/(1-a^2/b^2 )=(2a^2)/(b^2-a^2 ). Folglich gilt: \( \overline{AD} \) =c(1+(2a^2)/(b^2-a^2 )). Nun ist cos(2α)=c/\( \overline{AD} \) . Nach Verwendung eines Additionstheorems für cos(2α)=cos(α+α) und Kürzen mit c gilt dann:
(b/c)^2-(a/c)^2=1/(1+(2a^2)/(b^2-a^2 ))
Dies lässt sich äquivalent umformen zu a2+b2=c2.