Die Frage, ob Einsatz digitaler Werkzeuge bei der Vermittlung von Mathematik in der Schule nützt oder schadet, wird meistens polarisiert beantwortet. Sie ist in dieser Form jedoch nicht beantwortbar. Sinnvoll wäre es stattdessen, in Bezug auf einzelne Fragestellungen, über die Eignung verschiedener Werkzeuge nachzudenken. Die Didaktiker Herget, Heugl, Kutzler und Lehmann sind in diesem Zusammenhang der Frage nachgegangen, welche handwerklichen Rechenfertigkeiten trotz der Verfügbarkeit algebraischer Taschenrechner und von Computeralgebra-Systemen (CAS) unverzichtbar bleiben. Neben der Rechenkompetenz identifizieren sie auch noch andere, wichtige Kompetenzen, die ihre Bedeutung im CAS-Zeitalter behalten oder sogar an Bedeutung gewinnen. Eine davon sei die Kompetenz, Terme zu finden.
Dazu eine Beispielaufgabe (wurde auch schon in der Mathelounge gestellt):

Finde einen gemeinsamen Term für jeweils eine Summe der Zahlen im Inneren eines n×n-Teilquadrats in der linken oberen Ecke (farbig umrandet) der folgenden quadratischen Zahlenanordnung:
Die Kompetenz, Terme zu finden, stellt sich als Zusammenfassung sehr unterschiedlicher Kompetenzen dar. Darunter ist erstens die Mustererkennung und -beschreibung, zweitens die Übersetzung von Texten in Terme und drittens die formale Beantwortung einer Frage zu einem gegebenen Sachverhalt durch einen Term.
Weiterhin nennen die vier Didaktiker Herget, Heugl, Kutzler und Lehmann die Kompetenz, Rechnerarbeit passend zur Aufgabenstellung zu dokumentieren. Zum Nachweis dieser Kompetenz ist es erforderlich, sich selbst beim Denken zuzusehen, um die Zwischenstationen eines Gedankenganges für einen potentiellen Leser nachvollziehbar zu schildern. Beispielhaft gelang dies in einer Antwort auf die genannte in der Mathelounge gestellte Aufgabe:
Erste Zeile: 1ˑ(1+2+3+….+n)=1∙(n∙(n+1))/2
zweite Zeile: 2ˑ(1+2+3+….+n)=2∙(n∙(n+1))/2
dritte Zeile: 3ˑ(1+2+3+….+n)=3∙(n∙(n+1))/2
… … … …
… … … …
n-te Zeile: nˑ(1+2+3+….+n)=n∙(n∙(n+1))/2
Summe: (1+2+3+….+n)∙(n∙(n+1))/2=((n∙(n+1))/2)^2=\( \frac{n^2(n+1)^2}{4} \) .
Die Formelsammlung verrät, dass dies gleichzeitig die Summe der ersten n Kubikzahlen ist.
Um die Lösung der genannten Beispielaufgabe zur Mustererkennung in dieser Weise zu finden, muss man vor allem das Distributivgesetz zum Zwecke des Ausklammerns verinnerlicht haben. Rechengesetze werden allerdings insbesondere dann verinnerlicht, wenn sie in vielfältigen Anwendungen genutzt wurden – wenn also gerechnet wurde. Die Autoren nennen zahlreiche Aufgaben, für die sie entscheiden, ob eine Bearbeitung ohne digitales Werkzeug zu fordern wäre. Aufgaben zum Ausklammern sind nicht darunter.
Darüber hinaus wird die Ableitung von f(x)=2x nach dem Wunsch der Autoren nur noch einem CAS übergeben und soll nicht mehr von Schüler*innen hergeleitet werden. Damit wird eine ohnehin schon mangelhafte Erfassung des Begriffs ‚Logarithmus‘ dem digitalen Werkzeug geopfert.
Fazit: Wenn selbst namhafte Didaktiker derartige Entscheidungen, welche handwerklichen Rechenfertigkeiten unverzichtbar sind, ins Netz stellen und seit fast 25 Jahren unbearbeitet lassen, dann kann man sich weder über die Beliebtheit der Mathematik bei Schüler*innen wundern noch über nachlassende Neigung von Studienanfängern, ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studienfach zu wählen und bis zum Examen durchzuhalten.