Vorheriger Teil: https://www.mathelounge.de/507798/mathe-artikel-001-kombinieren-wie-ein-meisterdetektiv-teil
Im zweiten Teil geht es nun um Beweisfolgen und die Lösung des Falls. Zur Erinnerung hier noch einmal, um was es eigentlich geht:
OberschĂŒlerdetektiv Shinichi Kudo hilft der Polizei wieder bei der AufklĂ€rung eines schwierigen Mordfalls. Nachdem er den Tatort untersucht und die Zeugen befragt hat, wird ihm schnell klar, wer der Mörder. Er fĂŒhrt nun in gewohnter Form aus:
âWenn Herr Kirigaya nicht der TĂ€ter ist, dann ereignete sich der Mordfall 5km von Herrn Kirigayas Wohnung entfernt. Entweder hat der Mordfall nicht 5km von Herrn Kirigayas Wohnung stattgefunden oder Frau Takahashi hat die Schreie des Opfers gehört. Wenn Herr Kirigaya sich vor der Tatzeit nicht in einem Love Hotel aufgehalten hat, dann hat Frau Takahashi die Schreie des Opfers nicht gehört. Wenn Herr Kirigaya sich vor der Tatzeit in dem Love Hotel befunden hat, dann ereignete sich der Mord auch 5km von seiner Wohnung entfernt und der TĂ€ter hĂ€tte die Halskette des Opfers gestohlen. Aber, wie Sie sehen, wurde die Halskette nicht gestohlen! Das Opfer trĂ€gt Sie immer noch. Damit sind Sie der TĂ€ter, Herr Kirigaya!â
Wie kommt Shinichi auf diese Schlussfolgerung? Ist der TĂ€ter damit ĂŒberfĂŒhrt?
8. Beweisfolgen
Die bisherigen Erkenntnisse zu den Ăquivalenz- und Ableitungsregeln der Aussagenlogik werden nun dazu genutzt, um Beweisfolgen zu erzeugen. Doch was sind Beweisfolgen? Hierauf gibt uns die folgende Definition eine Antwort:
Definition 8.1: Beweisfolgen
Sei \((A_1,A_2,...,A_n)\) eine Folge von aussagenlogischen Formeln \(A_i\) mit \(1\leq i\in\leq \mathbb{N}\leq n\). Wir nennen \((A_1,A_2,...,A_n)\) eine Beweisfolge, wenn fĂŒr alle \(A_i\)gilt: Entweder ist \(A_i\) eine PrĂ€misse oder Ergebnis einer Ăquivalenz- oder Ableitungsregeln.
Eine Beweisfolge, bei der wir zeigen wollen, dass \(B\) aus einer Reihe von PrĂ€missen \(A_1,A_2,...,A_j\) folgt, besitzt die allgemeine Gestalt: $$\begin{matrix} A_1\\ A_2\\ \vdots\\ A_j\\ \text{Ableitung}_1\\ \text{Ableitung}_2\\ \vdots\\ \text{Ableitung}_k\\ B \end{matrix}$$ Wir zeigen durch diese Art von Beweisfolgen die GĂŒltigkeit der Implikation der allgemeinen Form $$A_1\wedge A_2\wedge ...\wedge A_j\Longrightarrow B$$ D.h.: Wenn PrĂ€misse 1 gilt und PrĂ€misse 2 gilt und ... und PrĂ€misse j gilt, dann folgt daraus, dass \(B\) gilt. Ist eine der PrĂ€missen nicht erfĂŒllt, dann ist die Schlussfolgerung \(B\) nicht zwangslĂ€ufig korrekt.
Zum Aufstellen einer Beweisfolge bietet sich folgende Vorgehensweise an:
1. PrÀmissen identifizieren und notieren.
2. Ableitungen auf der Basis der Ableitungsregeln der Aussagenlogik durchfĂŒhren.
9. Und so löst man den Fall
Aus der Fallbeschreibung lesen wir folgende Aussagen heraus:
\(A:=\) âHerr Kirigaya ist der TĂ€ter.â
\(B:=\) âDer Mordfall ereignete sich 5km von Herrn Kirigayas Wohnung entfernt.â
\(C:=\) âFrau Takahashi hat die Schreie des Opfers gehört.â
\(D:=\) âHerr Kirigaya hat sich vor der Tatzeit in einem Love Hotel befunden.â
\(E:=\) âDie Halskette des Opfers wurde gestohlen.â
Aus den AusfĂŒhrungen von Shinichi setzen wir die PrĂ€missen zusammen:
1. âWenn Herr Kirigaya nicht der TĂ€ter ist, dann ereignete sich der Mordfall 5km von Herrn Kirigayas Wohnung entfernt.â \(\neg A\Longrightarrow B\)
2. âEntweder hat der Mordfall nicht 5km von Herrn Kirigayas Wohnung stattgefunden oder Frau Takahashi hat die Schreie des Opfers gehört.â \(\neg B\vee C\)
3. âWenn Herr Kirigaya sich vor der Tatzeit nicht in einem Love Hotel aufgehalten hat, dann hat Frau Takahashi die Schreie des Opfers nicht gehört.â \(\neg D\Longrightarrow \neg C\)
4. âWenn Herr Kirigaya sich vor der Tatzeit in dem Love Hotel befunden hat, dann ereignete sich der Mord auch 5km von seiner Wohnung entfernt und der TĂ€ter hĂ€tte die Halskette des Opfers gestohlen.â \(D\Longrightarrow (B\wedge E)\)
5. âAber, wie Sie sehen, wurde die Halskette nicht gestohlen! Das Opfer trĂ€gt Sie immer noch.â \(\neg E\)
Um nachzuweisen, dass Shinichi mit seinen Schlussfolgerungen richtig liegt, mĂŒssen wir zeigen, dass \(A\) aus den PrĂ€missen 1 bis 5 folgt. Es ist also die GĂŒltigkeit der Formel $$(\neg A\Longrightarrow B)\wedge (\neg B\vee C)\wedge (\neg D\Longrightarrow \neg C)\wedge (D\Longrightarrow (B\wedge E))\wedge \neg E\Longrightarrow A$$ nachzuweisen. Dies werden wir im Folgenden durch schrittweise Anwendung der logischen Ăquivalenz- und Ableitungsregeln erreichen. Mit anderen Worten: wir erzeugen eine Beweiskette:
6. Mit PrÀmisse 5 und der Ausdehnung folgt: \(\neg E\vee \neg B\)
7. Mit Schlussfolgerung 6 und den Kommutativgesetzen folgt: \(\neg B\vee \neg E\)
8. Mit Schlussfolgerung 7 und den De Morgan'schen Regeln folgt: \(\neg (B\wedge E)\)
9. Mit PrÀmisse 4, Schlussfolgerung 8 und dem Modus Tollens folgt: \(\neg D\)
10. Mit PrÀmisse 3, Schlussfolgerung 9 und dem Modus Ponens folgt: \(\neg C\)
11. Mit PrÀmisse 2 und den Kommutativgesetzen folgt: \(C\vee \neg B\)
12. Mit Schlussfolgerung 11 und der disjunktiven Implikation folgt: \(\neg C\Longrightarrow \neg B\)
13. Mit den Schlussfolgerungen 10, 12 und dem Modus Ponens folgt: \(\neg B\)
14. Mit PrÀmisse 1, Schlussfolgerung 13 und dem Modus Tollens folgt: \(\neg \neg A\)
15. Mit Schlussfolgerung 14 und der doppelten Negation folgt: \(A\)
Wir haben nun aus den PrĂ€missen unter Anwendung der logischen Ăquivalenz- und Schlussregeln schrittweise hergeleitet, dass \(A:=\) âHerr Kirigaya ist der TĂ€ter.â aus den PrĂ€missen folgt. Shinichi hat also Recht und Herr Kirigaya ist als TĂ€ter ĂŒberfĂŒhrt!
André Dalwigk
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