Gerne!
Die grobe Idee ist es, dass die Funktion \(f:\mathbb{C}\setminus\{\text{Vier einfache Polstellen}\}\to \mathbb{C}\) gegeben durch \(f(z)=\frac{1}{z^4+1}\) nicht nur eine reell-differenzierbare Funktion ist (\(\mathbb{C}\) als \(\mathbb{R}^2\) aufgefasst), sondern komplex-differenzierbar. Das klingt nach nicht viel, ist aber eine unglaublich große Einschränkung, die sehr viel Struktur gibt. Komplex-differenzierbar zu sein ist viel viel mehr als nur reell-differenzierbar zu sein.
Zum Beispiel ist deine Funktion automatisch analytisch, harmonisch, und noch viele weitere unglaubliche Eigenschaften. Am wichtigsten für diese Aufgabe stellt sich aber heraus, dass Integrale über geschlossene Wege homotopieinvariant sind: Wenn du also den Weg, über den du integrierst, leicht veränderst, quetschst, auseinanderziehst etc., dabei aber nie "über eine Polstelle gehst", bleibt der Wert des Integrals gleich. Der Physiker würde an dieser Stelle sagen, dass komplex-differenzierbare Funktionen konservative Vektorfelder sind (und genau deshalb so nützlich für die Physik).
Auf gewisse Weise ist also der Wert eines Integrals einer komplex-differenzierbaren Funktion über einen geschlossenen Weg nur abhängig davon, um welche Polstellen der Funktion du wie oft in welchem Uhrzeigersinn drumherumläufst (da du im Prinzip alles andere am Integrationspfad ändern kannst, ohne den Wert des Integral zu ändern). Wenn du einen Integrationspfad hast, der kreisförmig nur um eine Polstelle nur einmal gegen den Uhrzeigersinn herumläuft, kannst du also den Radius gegen \(0\) gehen lassen und der Wert des Integrals bleibt immer gleich, das ist Quasi der "Beitrag" dieser Polstelle zu den Integralen, die um diese Polstelle herumlaufen, diesen Wert (aus Gründen mit \(\frac{1}{2\pi i}\) skaliert) nennt man das Residuum der Polstelle. Wenn man andersherum um diese Polstelle läuft, bekommt man Minus diesen Wert als Integral, wenn man zweimal herumläuft den doppelten Wert etc, es funktioniert alles auf fast schon verdächtig magische Weise.
Die Residuenformel explizit sagt folgendes aus: Unter nicht näher genannten Umständen, die hier gelten, gilt für Integrale deiner komplex-differenzierbaren Funktion \(f\) und einem geschlossenen Weg \(\gamma\): \(\int_\gamma f = 2\pi i\sum\limits_{p}\mathrm{ord}_\gamma(p)\mathrm{Res}_f(p)\), wobei die Summe über die Polstellen von \(f\) läuft, die Funktion \(\mathrm{ord}_\gamma(p)\) angibt, wie oft die Kurve \(\gamma\) gegen den Uhrzeigersinn um die Polstelle \(p\) läuft (manchmal Windungszahl genannt), und \(\mathrm{Res}_f(p)\) ist eben dieses Residuum. Nützlich für später: Das Residuum für einfache Polstellen \(p\) ist einfach berechenbar, in dem Fall gilt \(\mathrm{Res}_f(p)=\lim\limits_{z\to p}(z-p)f(z)\).
Soviel zum Hintergrund, wir rechnen mal die Aufgabe. Was ich hier mache, ist ein Standardverfahren, das jeder Studi, der in komplexer Analysis aufgepasst hat, als ersten Ansatz wählen würde. So zentral ist die Idee, die jetzt kommt.
Wir betrachten folgenden Integrationspfad \(\gamma_r\) für ein \(r>0\), über den wir \(f\) integrieren: Wir gehen auf der reellen Achse von \(-r\) nach \(+r\), und dann gehen wir über die obere komplexe Halbebene auf einem Halbkreis mit Radius \(r\) gegen den Uhrzeigersinn von \(+r\) nach \(-r\) zurück. Wenn du ein Bild zur Veranschaulichung brauchst, google mal nach "Semicircle contour integral".
Wir nennen diesen Halbkreis mal \(K_r\) und trennen das Integral mal in seine zwei Hauptbestandteile auf:
\(\int_{\gamma_r}f = \int_{K_r}f+\int\limits_{-r}^{r}f(x)\mathrm{d}x\)
Folgende Beobachtungen fallen auf, wenn \(r\) größer wird:
1. Sobald \(r>1\), wird unser Integrationspfad keine neuen Polstellen in sein Gebiet aufnehmen, sprich: \(\int_{\gamma_r}f\) ist konstant und kann mittels der Residuenformel berechnet werden, es ist ja einfach nur \(2\pi i\) mal die beiden Residuen in den Polstellen \(\frac{i\pm 1}{\sqrt{2}}\) auf der oberen komplexen Halbebene. Wenn du das ausrechnest, kommst du darauf, dass für \(r>1\) also konstant gilt: \(\int_{\gamma_r}f=\frac{\pi}{\sqrt{2}}\).
2. Für \(r\to\infty\) geht \(\int_{K_r}f\) gegen \(0\). Kurz als Milchmädchenrechnung: Das liegt daran, dass der Integrationsweg proportional mit \(r\) länger wird, die Funktionswerte aber proportional zu \(1/r^4\) kleiner werden, das Integral geht also etwa wie \(1/r^3\) gegen \(0\). Präzise kannst du das argumentieren mit der "Dreiecksungleichung für Integrale".
3. Es gilt also folglich \(\lim\limits_{r\to\infty}\int\limits_{-r}^{r}f(x)\mathrm{d}x= \lim\limits_{r\to\infty}\int_{\gamma_r}f=\frac{\pi}{\sqrt{2}}\).
Aus Symmetriegründen ist das gesuchte Integral einfach die Hälfte davon.
Das ganze war jetzt sehr im Detail, aber wie gesagt ein erfahrener kompetenter Studi, der mal komplexe Analysis gehört hat, sieht dieses Integral, sieht sofort dass er nur zwei Residuen zu berechnen hat, tut genau das und ist fertig. Der ganze Rest an dem, was ich geschrieben habe (zum Beispiel sehen dass dieses "Halbkreisintegral" der richtige Weg ist), ist so standard wie es nur sein kann.