Die vollständige Induktion ist ein Beweisverfahren, das angewendet wird, um zu beweisen, dass eine Aussage, die von einer natürlichen Zahl abhängt, für alle n≥no gilt, wobei n0∈N0. Wir schreiben A(n) für unsere Aussage in Abhängigkeit von n∈N0.
Vorgehensweise:
1.) Induktionsanker/Induktionsanfang (kurz: IA):
Im Induktionsanker zeigen wir, dass A(n0) wahr ist, wobei wir n0∈N0 so klein wie möglich wählen. Meistens ist dies die Zahl 0 oder 1.
2.) Induktionsvoraussetzung (kurz: IV):
Hier setzen wir voraus, dass A(n) für ein festes, aber beliebiges n∈N gilt, wobei N : ={m∈N ∣ m≥n0}. Meist schreiben wir sowas wie: „Für ein festes, aber beliebiges n∈N gilt: A(n)“, wobei wir für A(n) die Aussage hinschreiben.
Achtung:
Ein häufiger Fehler hierbei ist die folgende Formulierung: „Für n∈N gilt: A(n)“
Dort wird vorausgesetzt, dass unsere Aussage für alle n∈N wahr ist, womit wir uns die Induktion sparen könnten. Wir setzen in der Induktionsvoraussetzung lediglich voraus, dass ein n∈N die Aussage erfüllt!
3.) Induktionsschritt/Induktionsschluss (kurz: IS)
Im dritten und letzten Schritt findet die eigentliche Arbeit der Induktion statt. Wir möchten hier zeigen, dass, wenn die Aussage für unser festes, aber beliebiges n∈N wahr ist, sie auch für n+1 gilt.
Kurz: A(n)⇒A(n+1)
Manchmal (aber selten) kommt es auch vor, dass wir zusätzlich den Induktionsanker verwenden können.
Zusammenfassung der Schritte:
Wir zeigen, dass A(n) für ein n0∈N0 gilt (IA), setzen voraus, dass die Aussage für ein festes, aber beliebiges n∈N wahr ist (IV), um letztendlich im Induktionsschritt (IS) zu zeigen, dass die Eigenschaft der Aussage dann auch für n+1 erfüllt ist. Somit ist A(n) für alle n≥n0 wahr.
Idee „anschaulich“: IAA(n0)⇒ISA(n0+1)⇒ISA(n0+2)⇒IS…
Damit die Vorgehensweise klarer wird, wird die Induktion an einem Beispiel erläutert.
Beispiel: Gaußsche Summenformel
Das wohl typischste Beispiel für die Anwendung der vollständigen Induktion ist die Gaußsche Summenformel, womit an dieser Stelle die Geschichte des kleinen Gauß erwähnt sei:
Der kleine Gauß sitzt mit seinen Mitschülern/Mitschülerinnen im Mathematikunterricht. Sie bekommen von ihre Lehrer folgende Aufgabe gestellt: „Berechnet die Summe der Zahlen von 1 bis 100!“
Der Lehrer, stark im Glauben er könne sich nun eine lange Auszeit gönnen, lehnt sich zurück und lässt die Schüler/innen rechnen. Alle beginnen die Zahlen mühsam zu addieren und schreiben ihre Zwischenschritte auf Schreibtafeln. Alle? Nein! Der kleine Gauß sitzt ruhig auf seinem Stuhl und denkt nach:
1+1002+993+9849+5250+51=101=101=101⋮=101=101
Er stellt fest, dass er durch schlaues Addieren der Summanden 50-mal die Zahl 101 erhält.
Es gilt:
k=1∑100k=50⋅101=5050
Natürlich kann man solch eine Summe nicht nur geschickt von 1 bis 100 ausrechnen, sondern bis zu einem beliebigen n∈N.
Es gilt:
k=1∑nk=2n⋅(n+1)
Diese Aussage bezeichnen wir mit A(n).
Wir überprüfen, ob A(n) tatsächlich für n=100 gilt:
k=1∑100k=2100⋅101=150⋅101=5050
Woher wissen wir aber nun, dass dies nicht nur Zufall war? Ein Glücktreffer. Es könnte ja sein, dass die Aussage für n=100 gilt, jedoch für n=101 nicht. An dieser Stelle kommt die vollständige Induktion ins Spiel! Mit ihrer Hilfe beweisen wir, dass A(n) für alle natürlichen Zahlen n gilt.
Beweis:
Induktionsanker:
Sei n0=1.
Es gilt:
k=1∑1k=1=11⋅(1+1)
Induktionsvoraussetzung:
Für ein festes, aber beliebiges n∈N gilt:
k=1∑nk=2n⋅(n+1)
Induktionsschritt:
k=1∑n+1k=k=1∑nk+(n+1)=IV2n⋅(n+1)+(n+1)=2n⋅(n+1)+22⋅(n+1)=2n⋅(n+1)+2⋅(n+1)=2(n+2)⋅(n+1)=2(n+1)⋅((n+1)+1)
Wir haben nun in wenigen Schritten gezeigt, dass A(n) für alle natürlichen Zahlen n gilt.
Wieso funktioniert die vollständige Induktion als Beweisverfahren überhaupt? Um diese Frage zu beantworten, beweisen wir folgende Aussage:
Gilt eine Aussage A(n0) für ein n0∈N0 und folgt aus der wahren Aussage A(n) mit n∈N, dass A(n+1) ebenfalls gilt, so ist A(n) für alle n∈N wahr.
Beweis:
Addieren wir zu einem n0∈N0 eine 1, so erhalten wir die darauffolgende natürliche Zahl n0+1. Wir können jede beliebig große natürliche Zahl n≥n0 erhalten indem wir entsprechend oft eine 1 addieren. Dies wird als Prinzip der vollständigen Induktion bezeichnet.
Nun wissen wir, dass A(n0) für ein n0∈N0 und „A(n) wahr ⇒A(n+1) wahr“ gilt. Um zu beweisen, dass die Aussage für eine beliebige natürliche Zahl aus N gilt, müssen wir also „A(n) wahr ⇒A(n+1) wahr“ entsprechend oft anwenden.
Somit gilt A(n) für alle n∈N.
Beispiele für weitere Gleichungen, die mit Hilfe der vollständigen Induktion bewiesen werden können:
1.) Für n∈N gilt:
k=1∑nk2=6n⋅(n+1)⋅(2n+1)
2.) Für n∈N gilt der binomische Lehrsatz:
(x+y)n=k=1∑n(kn)⋅xn−k⋅yk