In der Wikipedia finden wir eine Antwort auf die Frage: „Was ist Mathematik?“:
Mathematik wird üblicherweise als eine Wissenschaft beschrieben, die durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.
Diese Antwort ist sicher nicht falsch, hat aber den Nachteil, dass sich niemand mit diesem Wissen allein zur Mathematik hingezogen fühlt. Diese Wikipedia-Definition ist eher geeignet, von der Mathematik abzuschrecken.
Fast niemand scheint der Mathematik gleichgültig gegenüberzustehen. Das liegt auch daran, dass jeder einen Mathematikunterricht durchläuft, der ihm ein Bild von Mathematik vermittelt. Viele Schülerinnen und Schüler enthielten als Folge ihres Mathematikunterrichtes einseitige und falsche Bilder über die Mathematik, die sich oft auf Zahlen und elementares Rechnen beschränken. In der Schule erscheint die Mathematik manchmal schwierig und das ist und bleibt sie auch - gleichgültig, wie weit man in sie vordringt. Schreckt das ab? Nein, das gehört dazu! Wer Herausforderungen sucht, wird sie in der Mathematik finden. Wer keine Herausforderungen sucht, wird keine Zuneigung zur Mathematik entwickeln.
Schon in sehr früher Zeit fingen die Menschen an, in ihrer Lebensrealität Situationen zu entdecken, die zu Denkprozessen führten, die wir heute der Mathematik zuordnen. Der Jäger und Sammler musste im Rahmen seiner Nahrungsbeschaffung beurteilen können, ob das erlegte Wild oder die gesammelten Früchte ausreichten, um wieder zu seinem Stamm zurückkehren zu können. Bevor er zurückkehrte, wird er das, was er erlegt oder gesammelt hatte vor seinem geistigen Auge in Portionen geteilt haben und die Portionen seinen einzelnen Stammesmitgliedern zugeordnet haben. Darin steckt bereits das, was wir heute als die „Idee des funktionalen Zusammenhangs“ bezeichnen.
Lange vor den Anfängen von Schrift, vor rund 22.000 Jahren, kerbte eine junge Frau in einer steinzeitlichen Siedlung am Ishango-Fluss in Zentralafrika hintereinander 11, 13, 17 und 19 Kerben in einen kleinen Knochen. Er ist das älteste Mathematik-Fundstück, das wir kennen. Fundstücke aus den ägyptischen und babylonischen Hochkulturen, mehrere 1000 Jahre alt, dokumentieren trickreiche Rechnungen. Spätestens seit der griechischen Antike wird Mathematik als Wissenschaft betrieben. Seitdem ist Mathematik Teil der Kultur, ihre Entwicklung eng verschränkt mit Philosophie, und Physik, mit den Fortschritten in Technologie und Wirtschaft – und heute mit praktisch allen Lebensbereichen.
Die Mathematik beschäftigt sich mit großen Fragen: mit der Beschreibung des Himmels und der Erde, mit dem Lauf von Flüssigkeiten und der Vorhersage des Wetters, mit den Gesetzmäßigkeiten der Zahlen, der Geometrie, kurz, mit fast allen Aspekten unserer Welt.
Und die mathematischen Probleme, die sich aus den großen Fragen ergeben, sind riesig, hartnäckig und kompliziert: Seit mehreren Jahrtausenden arbeiten Mathematiker daran, mit gigantischen Ergebnissen und Fortschritten, teilweise nach jahrhundertelangem Kampf an ganz speziellen und immer genaueren Fragen. Im Jahr 2000 hat die Clay-Stiftung sieben große mathematische Probleme vorgestellt und für deren Lösung jeweils eine Million US-Dollar zur Verfügung gestellt. Bisher ist nur eines davon gelöst. Alle diese sogenannten Millenniumsprobleme sind extrem schwierig - herausragende Mathematiker haben sich an ihnen ohne durchschlagendem Erfolg versucht. Für die meisten von ihnen ist es ohne Mathematikstudium schon schwierig, die Problemstellung in Umrissen zu verstehen.
Aber auch das, was von Schülerinnen und Schülern im Mathematikunterricht verlangt wird, kann subjektiv schwierig sein. Wer vor solchen Schwierigkeiten kapituliert, wird Mathematik nie lieben – schlimmer noch: Er oder Sie wird keine Vorstellung davon bekommen, was Mathematik eigentlich ihrem wahren Wesen nach ist.
Aber in welche Bestandteile lässt sich dieses „Wesen der Mathematik“ zerlegen, um zu umreißen was Mathematik wirklich ist. Darüber findet man viel im Internet. Hier ein alternativer Vorschlag:
1. Mathematik ist die Lehre von den Strukturen
In der Schule begegnet den Kindern eine erste Struktur, wenn sie den Zahlbegriff erfasst haben und erste Operationen mit Zahlen durchführen. Diese erste Struktur wird noch nicht explizit beschrieben aber – im günstigsten Falle - intuitiv erfasst. Um den Zahlbegriff zu erfassen, muss das Kind zählen können und es muss Mächtigkeiten von Mengen durch eineindeutige Zuordnung als gleich erkennen und mit einem Zahlwort benennen können. In der ersten Phase des Rechnens bewältigen Sechsjährige die Addition durch weiterzählen und die Subtraktion durch Rückwärtszählen. Später kommen Pfeilmodelle und Mengenmodelle der ersten beiden Grundrechenarten hinzu. Die Modelle werden so weit automatisiert, dass sie immer weiter zurücktreten. In dieser Phase wird für die Addition gleicher Summanden als Multiplikation erfahren. Die Gesetze der Addition und der Multiplikation werden zunächst nicht explizit genannt, aber von vielen Kindern erahnt. Intuitiv wissen viele, dass 5·7 = 7·5
und dass 24·3 = 20·3 + 4·3
gilt.
2. Mathematik ist das Erkennen und Beschreiben von Mustern
Mit „Muster“ sind hier sowohl geometrische Muster gemeint, was wir ja auch umgangssprachlich unter Muster verstehen, als auch Gesetzmäßigkeiten einer Menge von Daten. So hat zum Beispiel die Menge {1, 8, 27, 64, 125, …}
das Muster, das sich mit dem Begriff „Kubikzahlen“ beschreiben lässt. Die Beschreibung in der Sprache und Kurzschrift der Mathematik lautet dazu: {x3 | x∈ℕ}
. Zum Beschreiben von Mustern eignet sich die Sprache der Mathematik in vorzüglicher Weise. Dabei bedient sich diese Sprache eigener Zeichen.
3. Mathematik ist Darstellung und Repräsentationswechsel
Das Wechseln zwischen unterschiedlichen Darstellungen von Mustern heißt auch ‚Repräsentationswechsel‘ und eröffnet im günstigsten Falle neue Perspektiven auf die betrachteten Objekte. Indem man Muster in verschiedenen Formen darstellt, kann man zu Erkenntnissen gelangen. Für die Darstellung von Funktionen einer Variable eignet sich das Koordinatensystem (kartesisch/polar) ebenso, wie die Wertetabelle oder der Funktionsterm. Das Verständnis von Begriffen wird durch die Fähigkeit zum Repräsentationswechsel immer weiter vertieft.
4. Mathematik ist eine Sprache mit eigener Kurzschrift
Die Zahlzeichen sind stenographische Zeichen für Zahlbegriffe. Vieles wird in der Mathematik in sinnvollen Zusammenstellungen aus Zahlen, Rechenzeichen und Platzhaltern, sogenannten Termen, ausgedrückt. Das Konzept des Platzhalters ist eine jüngere Erfindung der Mathematik. Die klassische griechische Mathematik verwendete hier noch geometrische Objekte, andere Hochkulturen schilderten Terme in den Worten ihrer Sprache. Aber Zeichen benötigten alle; es gibt kein Denken ohne Zeichen. Platzhalter werden gern mit Buchstaben bezeichnet und das ermöglicht schließlich die Darstellung eines funktionalen Zusammenhangs. In der Geschichte der Mathematik wurden immer neue Mittel gewonnen, um immer mehr immer übersichtlicher darzustellen.
5. Mathematik ist vergegenständlichende Abstraktion
Unsere Zahlworte sind Beispiele für vergegenständlichende Abstraktionen, denn in der Welt der Dinge finden wir nirgends ‚Fünfheit‘ sondern nur Mengen von fünf Dingen. Der Begriff ‚fünf‘ ist das Ergebnis der Abstraktionsleistung, Mengen von 5 Dingen die gemeinsame Eigenschaft ihrer Mächtigkeit zuzuordnen. So kann der Begriff in einen neuen Gedanken, beispielsweise die Addition zweier Zahlen, eingefügt werden. Jedes Nomen unserer Sprache ist in dieser Weise das Ergebnis einer vergegenständlichenden Abstraktion. Auf diese Weise entsteht die Rekursivität unseres Denkens bei der ein Gedanke zum Gegenstand eines weiter gehenden Gedankens wird. Die Rekursivität des Abstraktionsprozesses ist ein zentraler Wesenszug der Mathematik.
6. Mathematik ist das Beweisen des Wahrheitsgehaltes von Aussagen
Die Mathematik macht ausschließlich Aussagen der folgenden Art: Wenn bestimmte Grundtatsachen (Axiome) als wahr angenommen werden, dann sind daraus nach festen Regeln abgeleitete Sätze ebenfalls wahr. Die Axiome – auch die für die Ableitung verwendeten Regeln der Logik – werden nicht in Zweifel gezogen, müssen aber eine Reihe von Auflagen erfüllen: Sie müssen insbesondere in sich und untereinander frei von Widersprüchen sein. Und alle Mathematiktreibenden müssen bereit sein, den Wahrheitsgehalt anzuerkennen.
Im schulischen Mathematikunterricht treten an die Stelle der Axiome sogenannte Evidenzen. Zum Beispiel zweifeln keine Schülerin und kein Schüler an der Grundvoraussetzung des Beweises des Satzes von Pythagoras, dass nämlich Flächen gleichgroß sind, wenn sie sich in paarweise kongruente Teilflächen zerlegen lassen. In der reinen Mathematik wird dies durch ein sogenanntes Flächenaxiom festgelegt.