Schöne neue Welt
Wir schreiben das Jahr 2050. Hans macht seine Hausaufgaben. Den Deutschaufsatz mit dem Thema „Wie flicke ich meinen Fahrradreifen“, das Bild in Kunst, das zu Hause fertig gemalt werden soll und die kleine Komposition in Musik erledigt jeweils die KI. Die Gleichungen in Mathematik löst das Computer-Algebra System. Die Übersetzungen in English und Französisch erledigt das Übersetzungsprogramm. Und alle sind sehr glücklich: Hans – weil er alles so schnell und erfolgreich erledigen konnte, seine Eltern – weil Hans sie nicht fünfmal in einer Stunde von der Arbeit abgehalten hat mit Fragen, die sie auch nicht beantworten konnten. Der Lehrer – weil Hans ein so fleißiger Schüler ist, der alle seine Hausaufgaben gemacht hat und die Computerindustrie – weil sie an Hans Ausrüstung mit digitalen Werkzeugen gut verdient hat. Auch viele Politiker sind glücklich – weil endlich die Digitalisierung auch in der Schule angekommen ist und fast alle Schüler*innen das Zeug zum Abitur haben. Ein Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel, weil niemand mehr die Handwerksarbeit machen möchte, wird energisch bestritten. Und Wilhelm von Humboldt dreht sich im Grabe um. Seine Beschäftigung mit kulturwissenschaftlichen Zusammenhängen wie der Bildungsproblematik, seine analytischen Betrachtung von Sprache, Literatur und Kunst sowie seine aktive politische Mitgestaltung des Schul- und Universitätswesens spielen in unserer schönen neuen Welt keine Rolle mehr. Sein Postulat, die Schule solle „so viel Welt als möglich“ vermitteln, wird leicht verändert: „so viel Digitalisierung als möglich“.