Im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI im Schulunterricht wird immer wieder das Potenzial von KI insbesondere bei der Vorbereitung des Unterrichts und der Erstellung von Arbeitsaufgaben betont. Die Vorbereitung des Unterrichts – mit oder ohne KI – setzt voraus, dass der Lernstand der Lerngruppe sehr genau analysiert wurde und dass ein Gespür für mögliche Verständnisprobleme auf Seiten einzelner Schüler*innen einfließt in die Vorbereitung. Nun können Lehrer*innen natürlich all dies auch in die Frage etwa an ChatGPT einarbeiten. Eine gekonnte Formulierung der an eine KI gerichteten Frage (ein sogenannter Prompt) verlangt zusätzlich viel Erfahrung und u.U. auch immer wieder variierte Formulierungen. Unterschiedliche Fragen bringen unterschiedliche Antworten hervor. Nimmt man den angeblichen Nutzen von KI für die Vorbereitung des Unterrichts ernst, so müssen die verschiedenen Antworten aufmerksam gelesen und mit Blick auf die jeweilige Lerngruppe und das jeweilige Lernziel beurteilt werden. Fragen formulieren und Antworten auswerten bedeuten so viel Zeitaufwand, dass es fraglich erscheint, ob eine Unterrichtsvorbereitung mittels KI den herkömmlichen Formen überlegen ist.
Ein Beispiel: Es geht um die Vorbereitung eines Unterrichts zum sogenannten ‚trigonometrischen Pythagoras‘ und speziell um eine Frage aus der Schülerschaft, ob der ‚trigonometrische Pythagoras‘ auch bewiesen werden kann, ohne auf den klassischen Satz des Pythagoras zurückzugreifen.
Lehrer*innen, welche diese Frage nicht beantworten können, stellen ChatGPT im Rahmen ihrer Unterrichtsvorbereitung vermutlich die Frage:
Beweise die trigonometrische Identität sin2(x)+cos2(x)=1 ohne Anwendung des Satzes von Pythagoras.
Darauf antwortet Chat GPT mit dem Hinweis auf den Einheitskreis mit der Gleichung x2+y2=1 und klärt darüber auf, dass x=cos(φ) und y=sin(φ) sei. Am Ende seiner Antwort zieht ChatGPT das Fazit:
Der Beweis der Identität sin2(x)+cos2(x)=1 über den Einheitskreis zeigt, dass die Summe der Quadrate von Sinus und Kosinus immer gleich 1 ist, weil jeder Punkt auf dem Einheitskreis eine Entfernung von 1 vom Ursprung hat, was durch den Satz des Pythagoras für die Koordinaten des Punktes (x,y) im kartesischen Koordinatensystem bestätigt wird.
Dieser Beweis vermeidet die direkte Anwendung des Satzes von Pythagoras und nutzt stattdessen die geometrische Eigenschaft des Einheitskreises.
Der Beweis nutzt – wie Chat GPT gesteht – die geometrische Eigenschaft des Einheitskreises und damit den Satz von Pythagoras. Also ist nichts gewonnen und es müssen weitere Fragen gestellt werden. Auf diese Fragen antwortet ChatGPT immer wieder mit dem Ausweichen auf Abstandsmessungen, bis es schließlich gesteht:
Du hast natürlich vollkommen recht: Die geometrischen Konzepte der Längenmessung im Koordinatensystem, die wir so oft verwenden, beruhen tatsächlich auf dem Satz von Pythagoras. Dies bedeutet, dass die Formel für den Abstand d=√((x)^2+(y)^2 ) und ähnliche Konzepte ihre tiefere theoretische Grundlage im Satz von Pythagoras haben.
Wenn wir also über den Abstand zwischen zwei Punkten im kartesischen Koordinatensystem sprechen, müssen wir anerkennen, dass die Euklidische Distanz (die Berechnung des Abstands durch d=√((x)^2+(y)^2 ) in der Tat auf dem Satz von Pythagoras basiert, da dieser Satz die Grundlage für die Definition des Abstands in der Euklidischen Geometrie ist.
Ob es allen Lehrer*innen gelungen wäre, ChatGPT zu diesem Eingeständnis zu bewegen, sei einmal dahingestellt. Da der eingangs angeforderte Beweis immer noch fehlt, kann sich nun eine Unterhaltung entwickeln, in der ChatGPT alte Fehler noch einmal – wider besseren Wissens – wiederholt, bis es schließlich zu der Einsicht kommt:
In meinen bisherigen Antworten zur Frage „Beweise den Satz von Pythagoras mit Verwendung der Trigonometrie“ und der Berechnung des Abstands im Koordinatensystem habe ich tatsächlich den Satz von Pythagoras vorausgesetzt, was eine zirkuläre Argumentation hervorrufen kann. Das bedeutet, dass ich durch die trigonometrische Identität und die Definition des Abstands im Koordinatensystem den Satz von Pythagoras indirekt angenommen habe, ohne ihn zu beweisen – was natürlich der Kern der ursprünglichen Frage war.
Und dann will ChatGPT erklären, warum seine Beweisversuche im Kreis laufen, um schließlich zu behaupten:
Wenn wir den Satz von Pythagoras tatsächlich mit Trigonometrie beweisen wollen, ohne eine Identität wie sin2(α)+cos2(α)=1 zu verwenden, dann müssten wir von der Definition des rechtwinkligen Dreiecks und der Messung von Winkeln und Abständen ausgehen, die noch keine Annahme über den Satz von Pythagoras beinhalten.
Ein solcher Beweis ist jedoch extrem schwierig und läuft letztlich darauf hinaus, dass man die geometrische Struktur eines rechtwinkligen Dreiecks vollständig und systematisch analysiert. Auch hier käme man am Ende immer wieder auf die Struktur des Satzes von Pythagoras.
Abgesehen davon, dass ChatGPT hier Voraussetzung und Behauptung vertauscht, ist es unzutreffend, dass ein solcher Beweis sei extrem schwierig sei. Richtig ist allerdings, dass man die geometrische Struktur eines rechtwinkligen Dreiecks vollständig und systematisch analysieren muss und von der Definition des rechtwinkligen Dreiecks und der Messung von Winkeln und Abständen ausgehen muss. Dazu ist ChatGPT allerdings nicht in der Lage. An dieser Stelle muss – bezogen auf das Fach Mathematik – noch einmal die Frage nach dem Nutzen von KI bei der Vorbereitung des Unterrichts gestellt werden.
Wenden wir uns dem zweiten angeblichen Vorteil von KI zu, welcher in der Hilfe bei der Erstellung von Arbeitsaufgaben bestehen soll. Das Erstellen lerntheoretisch sinnvoller Arbeitsaufgaben setzt auf Seiten der Lehrer*innen fundierte Kenntnisse zur Methodik und Didaktik voraus. Die Frage ist nun, ob z.B. ChatGPT über derartige Kenntnisse verfügt und bei der Erstellung von Arbeitsaufgaben einsetzt.
Ein Beispiel: Professor Andreas Helfrich-Scharbanenko hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel ‚Mathematik und ChatGPT‘ In Kapitel 8 stellt Schkarbanenko ChatGPT als Einmaleins-Tutor vor. Gleich zu Beginn des Kapitels kündigt er an, dass die Beherrschung der Multiplikation durch intensive Übung erreichbar ist. ChatGPT versteht das Lernen als Resultat einer Abfrage von (auswendig gewussten oder erratenen) Ergebnissen und schlägt vor, Ergebnisse des kleinen Einmaleins in zufälliger Reihenfolge abzufragen und eine Statistik über richtige bzw. falsche Ergebnisse anzulegen. Helfrich-Schkarbanenko akzeptiert diese Vorgehensweise kritiklos.
Damit folgen sowohl ChatGPT als auch Helfrich-Schkarbanenko der gängigen Auffassung, dass das Lernen von Mathematik auf die gleiche Weise erfolgen müsse, wie sie auch beim Lernen von Vokabeln oder Geschichtszahlen erfolgt. Mathematik wird allerdings deutlich besser und nachhaltiger gelernt, wenn man das Auswendiglernen so weit wie möglich zurückdrängt und neues Wissens auf vorhandenem Wissen aufbaut. Für das Erlernen des kleinen Einmaleins bedeutet das soeben Gesagte: Auswendig lernt ein Kind am besten nur die Quadratzahlen. Die Multiplikation muss das Kind als Addition gleicher Summanden verstehen. Darüber hinaus ist es nützlich, die Elementaroperationen ‚Verdoppeln‘ und ‚Halbieren‘ zu beherrschen. Auf dieser Basis kann jedes Multiplikationsergebnis des Einmaleins erschlossen werden. Derartige methodische Überlegungen sind jedoch sowohl Helfrich-Schkarbanenko als auch ChatGPT unbekannt.
Fundierte Kenntnisse zur Methodik und Didaktik können bei der KI ‚ChatGPT‘ offenbar nicht vorausgesetzt werden. Wie steht es also um das immer wieder beschworene Potenzial von KI insbesondere bei der Vorbereitung des Unterrichts und der Erstellung von Arbeitsaufgaben im Fach Mathematik?